Kolumne Wortklauberei: Flachpfeifen, Fressengate und die Folgen

Der Autor gibt indirekt zu verstehen, auch er könne gewisse Fressen nicht mehr sehen.

Haben Sie das gehört? Ein Barrel Nazi-Öl kostet momentan 105 Dollar. Also, ich muss schon sagen – das kann doch wohl nicht angehen? Wer handelt denn da noch mit Nazi-Öl? Was soll das sein? Und wie kann da ein weltweiter Markt entstehen? Was? Ach, Nordsee-Öl! Nun gut. Das klingt plausibel.

Aber haben Sie DAS gehört? Einen der wohl allerhübschesten Sätze, die es das ganze von der Gesamtnachrichtenlage her ja recht trübe Jahr in den Nachrichten zu hören gab und geben wird, am Dienstagvormittag auf Radio Bayern 2: "Pofalla soll Bosbach im Vorfeld der Abstimmung über das Euro-Hilfspaket am Donnerstag mit den Worten beleidigt haben, er könne dessen Fresse nicht mehr sehen."

Das hat schon was sehr Köstliches, so ein journalistisch exaktes Zitat in indirekter Rede von 1a-Nachmittagskrawalltalkshow-Slang. Sie müssen sich, um zum vollen Genuss zu gelangen, dazu noch die öffentlich-rechtlich sachlich-unterkühlte Nachrichtensprecherinnenstimme der Nachrichtensprecherin vorstellen.

Auch schätzte ich an der so formulierten Meldung, dass man wirklich die konkreten Fakten geliefert bekam. Schon eine Stunde später hieß es auf dem gleichen Sender nur noch, Pofalla habe Bosbach "wüst beschimpft", noch eine Stunde später "unflätig beschimpft".

Gleichwie. Ich bin ja ein entschiedener Gegner von Denkverboten in der Politik und finde, Kanzleramtsminister Ronald Pofalla hat da einen sehr interessanten und sensiblen Punkt angesprochen, mit dem sich diese Gesellschaft und ja, der politische Betrieb in Deutschland ruhig einmal auseinandersetzen sollte. Die Frage ist doch: Können SIE Wolfgang Bosbachs Fresse noch sehen? (Oder können Sie, wenn Sie Wolfgang Bosbach sehen, eh immer nur gebannt auf seinen Fifi starren?)

Falls Sie zu denjenigen gehören, die es in diesem Punkt eher mit Ronald Pofalla halten (über den Schauwert von dessen Fresse im Übrigen weiters zu diskutieren wäre) – beispielsweise, weil Sie in diesem Jahr bisher sechzehnmal "Anne Will" und/oder "Markus Lanz" gesehen haben und JEDES MAL saß Wolfgang Bosbach drin – dann könnten die Nachwirkungen von Fressen-Gate durchaus zu Ihren Gunsten arbeiten.

Wolfgang Bosbach, der sich nun zwei Tage lang als verfemte Unschuld, mit Schmutz beworfener Freidenker und Mobbing-Opfer hat betätscheln und einfühlsam interviewen lassen – übrigens der gleiche Wolfgang Bosbach, der im März 2010 im Anschluss an eine Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung bei "Markus Lanz" den Netzaktivisten Padeluun mit den Worten bedachte "Sie sind eine Flachpfeife, Sie können mich mal kreuzweise", ein Datenelement, das praktischerweise im Internet auf Vorrat gespeichert ist, um von Kolumnierenden bei passender Gelegenheit herausgekramt und aufs Brot geschmiert werden zu können – Bosbach also ist, wie man hört, über den Umgangston seines Kollegen so zerknirscht, dass er gar öffentlich überlegte, bei der nächsten Wahl nicht mehr für den Bundestag zu kandidieren. Und das kann man zwar gleich wieder vergessen, daraus wird eh nichts. Aber man wird ein bisschen träumen dürfen.

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