Heftige Debatten in Hamburgs GAL : Grüne suchen wieder Streit

DieLandesvorsitzende Fegebank kämpft um ihr Amt. Trotz heftiger Kritik will sie auf dem Parteitag Ende Oktober wieder kandidieren. Ihr Vize Tjarks hört auf.

Wenn Blütenträume welken: Hamburgs Grüne sind auf der Suche nach sich selbst Bild: dpa

Hamburgs grüne Parteichefin Katharina Fegebank will kämpfen. Trotz zum Teil heftiger Kritik an der Arbeit des Landesvorstandes erklärte die 34-Jährige am Freitag, erneut für eine zweijährige Amtszeit zu kandidieren. Ihr Stellvertreter Anjes Tjarks hingegen wird nach dreieinhalb Jahren im Amt "aus privaten Gründen" nicht erneut antreten. Gewählt wird der Landesvorstand am 29. Oktober auf einer Mitgliederversammlung der Grün-Alternativen Liste (GAL).

Der 30-jährige Tjarks erklärte, er könne "meine vier Vollzeitjobs" als Referendar, Bürgerschaftsabgeordneter, Parteivize und Familienvater nicht mehr bewältigen. Spätestens nach der Geburt seines dritten Sohnes vor einem Monat sei deutlich geworden, "dass ich so nicht weitermachen kann." Deshalb habe er sich "für meine Freundin und unsere Kinder entschieden". Tjarks stellte klar, dass er "gute Chancen auf eine Wiederwahl" gesehen hätte und "nicht kneifen" würde: "Aber die Familie geht jetzt vor."

Fegebank will sich "der Verantwortung stellen". Vorwürfe von innerparteilichen Kritikern, unter ihrer Führung sei "die programmatische Arbeit vernachlässigt" worden, würden "in Teilen stimmen", räumte sie ein. Die inhaltliche Weiterentwicklung der GAL würde deshalb der Schwerpunkt ihrer Arbeit werden. Es müsse aber berücksichtigt werden, dass eine kleine Partei in einer Regierungskoalition "sich oft zurücknehmen muss, um die Geschlossenheit zu wahren". Nun wolle sie "die Debatte zurückholen in die Partei".

Nach zwei Jahrzehnten mit bis zu siebenköpfigen Sprecherteams und zuletzt der Doppelspitze rang die Hamburger GAL sich Ende 2001 zu einer Strukturreform durch.

Nach der Abwahl von Rot-Grün und dem Regierungswechsel zu einer Koalition aus CDU, Schill-Partei und FDP am 23. September 2001 wird der Doppelvorstand Kurt Edler (Realo) und Antje Radcke (Fundi) aus dem Amt gejagt.

Am 9. Dezember 2001 hebt ein Parteitag die bisherige Trennung von Amt und Mandat auf und schafft die Doppelspitze ab. Die Bundestagsabgeordnete Kristin Heyne wird zur alleinigen Parteivorsitzenden gewählt, ihr Stellvertreter wird Jens Kerstan.

Am 30. Januar 2002 stirbt Kristin Heyne 49-jährig an dem Krebs, den sie besiegt zu haben glaubte.

Am 7. April 2002 wird die Bürgerschaftsabgeordnete Anja Hajduk zur Landesvorsitzenden gewählt, Kerstan bleibt Vize.

Am 22. Juni 2008 werden Katharina Fegebank zur Parteichefin und Anjes Tjarks zum Vize gewählt. Hajduk als Senatorin in der schwarz-grünen Koalition und Kerstan als Fraktionschef in der Bürgerschaft hatten ihre Ämter zur Verfügung gestellt.

Anfang der Woche hatte eine Gruppe von 16 Grünen eine zum Teil herbe formulierte Kritik am Landesvorstand veröffentlicht. Sie beklagten den "Niedergang der Debattenkultur" und warnten vor einem Weg "zum Führerkult". Die GAL dürfe sich jedoch "keine Parteistruktur erlauben, die die Mitglieder entmündigt". Fegebank und Tjarks würden mangelnde Transparenz "lediglich als Kommunikationsproblem" betrachten. "Wir haben jedoch ein elementares Partizipationsproblem", so die Kritiker. Die Prominentesten unter ihnen sind Till Steffen, 2008 bis 2010 Justizsenator in der schwarz-grünen Koalition, und die beiden letzten Vertreter der Doppelspitze in der Parteiführung: Zehn Jahre nach ihrem Rauswurf haben sich die linke Antje Radcke und der Realo Kurt Edler offenbar wieder etwas zu sagen.

Den Anstoß hatte Edler bereits nach der Wahlniederlage vom 27. Februar gegeben. "Politikversagen seit 2008" attestierte er in seinem Anfang März in der taz veröffentlichten "Memorandum" der gesamten Führungsebene der GAL. Diese habe "ihre Bündnisoptionen nie begründet" - weder den Einstieg in Schwarz-Grün 2008 noch den "unvermittelten Ausstieg" im vorigen November und auch nicht die rot-grüne Alternative im Bürgerschaftswahlkampf 2011.

Für die jetzige "Generation grüner Politikmacher" sei Politik zu einem "bloßen Handwerk geworden, das ohne Theorie und Strategie" auskomme, sagte der 61-jährige Lehrer. "Von den meisten Beteiligten haben wir nie eine strategische Darlegung gehört", so Edler, "die sich von seichter Marktplatzrhetorik freigemacht" hätte.

Damit hatte der Ex-Parteichef eine Diskussion initiiert, die seit einem halben Jahr unter dem Titel "Aufarbeitungsprozess" geführt wird. Damit will die GAL "unser Abschneiden bei der Bürgerschaftswahl, die schwarz-grüne Regierungszeit und den Ausstieg aus der Koalition diskutieren und daraus Lehren für die zukünftige Arbeit ziehen", so die offizielle Begründung. 26 zum Teil langatmige Debattenbeiträge wurden seitdem auf der GAL-Homepage eingestellt, im Juni waren sie Thema eines ganztägigen Forums, die Mitgliederversammlung in vier Wochen soll zu einem Ergebnis führen.

"Alle Demokratie ist Streit", heißt es in dem jüngsten Papier der Kritiker, das als offizieller Antrag auf dem Parteitag Ende Oktober beschlossen werden könnte. Das allerdings wäre ein Affront gegen Fegebank, die dann von ihrer erneuten Kandidatur zur Landesvorsitzenden wenige Minuten später Abstand nehmen müsste. Wie stark die Unterstützung an der Basis der 1.600-Mitglieder-Partei für die Kritiker tatsächlich ist, ist offen.

Fegebank jedenfalls geht davon aus, "einem strategisch und politisch denkenden Vorstand wieder vorzusitzen", wie sie am Freitag erklärte. Als Bewerber um den Stellvertreterposten nach dem Verzicht von Tjarks sind der ehemalige Bürgerschaftsabgeordnete Michael Gwosdz (36) und der Bundestagsabgeordnete Manuel Sarrazin (29) im Gespräch. Das seien beide, sagt Tjarks, "gute Leute".

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