Ein Besuch in einer Flüchtlings-WG: Die Angst fährt mit

Ahmad Shrindill ist 17 und aus Afghanistan geflohen. In einer Wohngruppe in Eutin versucht er mit anderen Jugendlichen, ein "wichtiger Mensch" zu werden.

Bald nicht mehr jugendlich: Flüchtlinge in der Eutiner Wohngruppe. Bild: Geißlinger

EUTIN taz | Einer der Jungen hat Geburtstag, das müssen sie vorbereiten. Geburtstag ist eigentlich schön. Aber in dieser Wohnung, in der Navid, Galibula, Ghareebulla, Ahmad Shrindill und die beiden Alis leben, ist Geburtstag auch ein Grund für Angst.

Die Wohnung liegt in einem Mehrfamilienhaus in einer ruhigen Straße der Kleinstadt Eutin, das Stadtzentrum ist nicht weit. "Das ist hier wie eine kleine Insel", sagt Abdul Koochi. Der vereidigte Dolmetscher stammt aus Afghanistan und wird meist gerufen, wenn Flüchtlinge aufgegriffen werden: In der Bahn, in einem Lastwagen, an Bord einer Skandinavien-Fähre.

Ahmad Shrindill holten sie aus der Bahn, er hatte eine Fahrkarte nach Kopenhagen, aber keinen gültigen Pass. Angst habe er gehabt, sagt der 17-Jährige, er dachte, dass ihm Gefängnis drohe oder Schlimmeres. Stattdessen landete er in Eutin, in der Wohngruppe des Kinderschutzbundes.

Sieben solcher Wohngruppen für jugendliche Flüchtlinge gibt es zurzeit im Kreis Ostholstein. Die jungen Männer leben dort in einer WG, betreut von Sozialpädagogen, die bei der Eingewöhnung helfen, Deutschunterricht vermitteln und sie in den Fußballverein begleiten.

Die Sozialpädagogen unterstützen ihre Schützlinge auch im Asylverfahren, denn dass die jungen Männer in Deutschland bleiben dürfen, ist keineswegs sicher. Mit dem 18. Geburtstag endet die Schonfrist. Der Kinderschutzbund unterstützt sie zwar weiter, doch falls das Asyl- oder Bleiberechtsverfahren noch nicht beendet ist, müssen die Jugendlichen in die Sammelunterkunft in Neumünster umziehen - in ein Sechs-Bett-Zimmer in einer ehemaligen Kaserne.

"Sie sind unter dauernder Anspannung", sagt Betreuer Sven Henning über seine Schützlinge. "Aber sie kämpfen und ackern für ihre Zukunft." Die Deutschkurse, der Fußballverein sollen zeigen, dass sie sich integrieren, dass sie hier arbeiten wollen - "wichtige Menschen werden", wie Ahmad Shrindill sagt.

Ihre Familien haben sie auf die Reise geschickt: Jedenfalls einer soll es besser haben, soll Fuß fassen in Europa, soll überleben. Laut einer Statistik des Kieler Integrationsministeriums kamen 277 Jugendliche im Jahr 2009, ähnlich viele 2010, allein 60 im vergangenen September. Sie wollen meistens nach Skandinavien - dort können Flüchtlinge aus Afghanistan mit leichten Verfahren rechnen.

Auch Ahmad Shrindill wollte dorthin. Seinen Vater hätten die Taliban erschossen, weil er für die US-Armee arbeitete, sagt er. Er sollte den Posten seines Vaters übernehmen, um seine Mutter und die jüngeren Geschwister zu versorgen. Die Taliban drohten ihm, er floh.

Ahmad erzählt seine Geschichte flüssig, aber Abdul Koochi weiß: "Alle dieser Jungen sind traumatisiert." Wie "stille Vulkane" seien einige, sie bemühten sich, vergangene Ereignisse zu verdrängen. In der ruhigen, verständnisvollen Umgebung der Wohngruppen klappt das auch. Aber es bestehe immer die Gefahr, dass die traumatischen Erlebnisse wieder hochkommen.

Das Ziel des Kinderschutzbundes ist, bis zum 18. Geburtstag die Weichen zu stellen, dafür zu sorgen, dass sie Deutsch können und ein gesichertes Bleiberecht erhalten. "Dann ist jedenfalls von einer Seite Ruhe", sagt Koochi. Mehr kann der Kinderschutzbund nicht tun.

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