Professor der Hochschule für Polizei: "Die Polizeiführung jammert"

Trotz des heftigen Gegenwindes bleibt Polizei-Professor Rafael Behr bei seiner Kritik: die Gewerkschaftsfunktionäre stilisierten die Polizei als Opfer.

Polizisten in Hamburg: Der Umgang mit Gewalt ist wohl kaum ein Thema bei ihren Chefs. Bild: dpa

taz: Herr Behr, hat Sie überrascht, wie heftig die Polizeigewerkschaft auf Ihre Kritik, sie jammere zu viel, reagiert hat?

Rafael Behr: Ich war darauf gefasst, dass es vor allem auch von den Gewerkschaften eine gewisse Polemik geben würde. Aber dass es so personalisiert wurde, hat mich überrascht, insbesondere, dass die Deutsche Polizeigewerkschaft meine Ablösung forderte, weil ich für Studierende an unserer Hochschule nicht tragbar sei. Ich musste darauf dringen, dass wir es als Hamburger Polizeihochschule nicht mit Primarschülern zu tun haben, sondern einen Bildungsauftrag für junge Erwachsene haben.

Meinen Sie, dass man dann die Fähigkeit zu Selbstreflexion voraussetzen kann, die Sie eingefordert haben?

Das auch. Aber insbesondere die Vorbereitung auf das Leben in der Organisation Polizei ist mir wichtig: Welche Politiken gibt es in der Polizei, welche Interessen werden vertreten, wo darf man sich nicht verführen lassen? Das betrachten die Schüler sehr wach.

Das heißt, die Schüler teilen Ihre Thesen?

53, arbeitet seit 2008 als Professor an der Hamburger Hochschule für Polizei und leitet dort die Forschungsstelle Kultur und Sicherheit. Er ist Studiengangsleiter für den Studiengang Polizei. Behr war 15 Jahre als Polizeibeamter in Hessen tätig, bevor er Soziologie studierte.

Sie sind nicht damit einverstanden, dass ich den Anschein erwecke, dass die Polizisten vor Ort jammern. Damit kann ich umgehen. Sie sagen aber auch: Das muss polizeiintern geklärt werden. Da antworte ich: Nein, das ist Polizei alt. Polizei neu braucht die Zivilgesellschaft als Partner.

Sie widersprechen dem Innensenator, der wachsende Gewalt gegen Polizisten beklagte. Laut Studien ist die Zahl dienstunfähiger Polizisten nach Gewaltübergriffen gestiegen.

Insgesamt gibt es einen leichten Anstieg, aber keinen exorbitanten. Im übrigen sind das meist leichtere Verletzungen. In Hamburg haben die Schwerstverletzungen 2011 abgenommen.

Ist das Thema Gewalt also eines, das die Gewerkschaften hochziehen, um mehr Personal durchzusetzen?

Nein. Es ist sogar ein sehr zentrales für die Polizei und ich verstehe nicht, warum die Polizeiführung es jahrelang missachtet hat. In den Leitbildern zur Außendarstellung etwa kommt es überhaupt nicht vor. Höflichkeit, Fairness, aber keine Formulierung wie: Wir gehen sorgsam mit dem uns zugestandenen Recht auf Gewaltanwendung um.

Warum wäre das so wichtig?

Weil es das Bewusstsein schärft. Gewalt wird in der Öffentlichkeit immer mehr geächtet und da, wo sie stattfindet, wird sie als dramatischer wahrgenommen. Das geht auch an der Polizei nicht vorbei. Ich glaube, die tiefe Verletzung der Polizeigewerkschaften rührt jetzt daher, dass sie offiziell lange nicht über ihre Gewalt im Alltag sprechen durften. Sie tun es, in der Regel auch verantwortungsvoll, aber sie reflektieren selten darüber. Gerade dann, wenn es um die Frage geht, ob die Gewalthandlung angemessen war.

Vermutlich hat aber auch Ihr Vorwurf gesessen, die Polizei stilisiere sich zum Opfer und werde damit ihrer gesellschaftlichen Rolle nicht gerecht.

Die Polizei wertet jeden Angriff auf einen Polizeibeamten als Skandal. Das ist nachvollziehbar. Ich denke aber, dass das Gewaltmonopol auf der Ausführungsebene eines ist, das Gewalt auf sich ziehen muss. Das ist ein Aspekt, der in der Außendarstellung nicht gepflegt wurde. Deswegen sagt man jetzt eher, dass man Opfer gesellschaftlicher Geringschätzung ist. Es geht ja gar nicht so sehr um die Gewalt. Aber ich betone noch einmal: Die einzelnen Polizisten jammern nicht, das sind Gefahrengemeinschaften, die haben einen eigenen Berufsstolz.

Wer tut es denn?

Die Funktionäre und die Polizeiführung tun es, sozusagen stellvertretend für die Beamtinnen und Beamten vor Ort. Die fühlen sich aber oft von der eigenen Führung nicht wertgeschätzt oder gar im Stich gelassen, wenn ihnen Gewalt widerfahren ist.

Was wäre die Alternative?

Man müsste aus einer Haltung der Selbstverständlichkeit heraus argumentieren. Stattdessen wird mit Ängsten der Öffentlichkeit gespielt, und das führt dort zu einer zunehmend straffreudigen Haltung.

Wie sähe diese Selbstverständlichkeit praktisch aus?

Wenn ich mich in bestimmten Szenen bewege, ist es naiv, so zu tun, als sei man noch der preußische Schutzmann, vor dem die Kinder weglaufen. Andererseits hat die Polizei immer mehr ihren Nimbus als böse Organisation abgebaut und gesagt: Fass den Schutzmann an. Dadurch ist eine gewisse Nähe zum Publikum entstanden, das sich nun auch mit weniger Hemmungen den Polizisten gegenüber bewegt. Und da gibt es immer wieder Polizisten, die das schon als Respektlosigkeit auffassen.

Was bleibt der Polizei übrig?

Man muss nicht unbedingt mehr Stress- und Konfliktseminare anbieten. Sondern neue Fragen stellen. Was beleidigt euch im Revier konkret? Wie geht ihr mit Belastungen um?

Zu Ihrem Vorschlag für mehr Coaching hieß es, das sei ein alter Hut.

Die Hamburger Gewerkschaft der Polizei hat sich da offen gezeigt. Aber sie hat eingewendet, dass in Zeiten sparender Haushalte kaum Geld dafür da ist. Es muss sich zeigen, ob das ein Killerargument ist, oder ob es Lösungen gibt. Ich vermute, dass bei den Coachings ganz andere Themen als nur Gewalt auf den Tisch kommen: Fragen der Wertschätzung von Vorgesetzten. Das sind die zentralen Probleme.

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