Stadtwildnis in Lichterfelde: Kleine Prärie am Rande der Stadt

In Lichterfelde ist aus einem US-Truppenübungsplatz ein wertvolles Biotop entstanden. Naturschützer kämpfen für den Erhalt als Landschaftspark, der Investor hätte lieber einen Golfplatz.

Finden immer weniger Brachen in Berlin: Die Wildbienen. Bild: dapd

Wusch. Da, wo eben nur ein Meer aus lila, gelben und rostroten Blüten war, hat Christoph Saure eine Wildbiene gefangen. Geschickt angelt der Biologe sie aus dem Kescher. Eine recht häufige Art, Saure lässt sie wieder frei. In seine Brusttasche hat es dagegen ein seltenes Exemplar der Zahntrost-Sägehornbiene geschafft. "Für meine Tiere" - damit meint Saure die Bienen und stechenden Wespen - "ist das ein Paradies hier." Unweit vom S-Bahnhof Lichterfelde-Süd direkt am Mauerradweg haben Natur und Naturliebhaber eine der seltenen Brachenlandschaften Berlins geschaffen. Seit ein paar Jahren gehört sie einer privaten Immobiliengruppe, die nicht von Wildbienen, sondern von einem Golfplatz träumt. Am Wochenende stand das Gelände ausnahmsweise Besuchern offen. Ein Aktionsbündnis warb zum Mauerbaujubiläum für die Nutzung des einstigen Grenzgebietes als Landschaftspark.

Militärische Geisterstadt

Als die amerikanischen Truppen sich 1994 aus Berlin verabschiedeten, hinterließen sie im Süden der Stadt ein 80 Hektar großes Gelände. Einst probten sie hier den Ernstfall - in Gebäuden, sogar in einer nachgebauten U-Bahn-Station. Die wenigen Überreste dieser militärischen Geisterstadt wurden abgerissen, als ballernde Jugendliche sie für sich einnahmen. Zurück blieb eine Brache, die sich die Natur zurückholte. Wiesen voller Kräuter und Blüten, dazwischen kleine Baumgruppen und Sträucher. In wenigen Jahren wäre ein Vorwald daraus entstanden: dichtes Unterholz, das einer späteren Bebauung im Wege gestanden hätte. Das wollte auch der Investor nicht, und so kam Anne Loba mit ihren Pferden zum Zug. Gegen Mietzahlung lässt sie hier seit zehn Jahren rund 40 Reitpferde im Einklang mit der Natur grasen. Pferde, die draußen geboren werden und sterben, die keinen Stall, sondern nur Baumgruppen als Unterstand kennen.

"Nur mit dieser Beweidung konnte sich die Brache hier halten", sagt Biologe Saure. Die Brache, die eigentlich nicht mehr als ein Zwischenstand in Siedlungsgebieten ist. Ein Stadium zwischen alter und neuer Bebauung. "Nach dem Mauerfall gab es viele solcher Brachen in Berlin", erzählt Saure, der 1989 seine Forschungsarbeit über Bienen und Wespen in der Hauptstadt begann. In Ostberlin fand er wahre Schätze: Inseln inmitten der Stadt, die von wilden Pflanzen, Insekten und Kriechtieren bevölkert waren. Zwei Drittel dieser Brachen seien inzwischen ehrgeizigen Bauvorhaben zum Opfer gefallen. "Als Ausgleich entsteht dann solches Designergrün wie der Park am Kanzleramt, der mit Natur gar nichts zu tun hat", schimpft Saure und wünscht sich einen "Brachenmanager" für die Stadt.

Auf dem Gelände in Lichterfelde hat der Biologe für ein Gutachten im Jahr 2000 unglaublichen Artenreichtum dokumentiert: 230 aller 800 stechenden Bienen- und Wespenarten Deutschlands gingen ihm ins Netz. Bis heute sei das Gutachten kaum bekannt, denn der Wert als Stadtbiotop stehe auch hier ehrgeizigen Investorenplänen im Weg.

Sieben Kilometer Wege

"Wir haben zwei Berliner Zoos und einen Botanischen Garten mit exotischen Tieren und Pflanzen", sagt Anne Loba. "Aber wo können die Kinder die einheimische Natur erleben?" Sieben Kilometer asphaltierte Wege gebe es auf dem Areal. "Für einen Stadtwildnis-Park ist hier alles da", sagt Loba. Doch die Frau mit den Pferden ist pessimistisch: "Naturschutz ist nun mal kein Investorenziel."

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