Bleiberecht: Tigran bleibt hier

Schleswig-Holsteins Justizminister Schmalfuß stoppt die Abschiebung einer armenischen Familie in letzter Sekunde. Einem neuen Gesetz und Zivilcourage sei Dank.

Glücklich, bleiben zu dürfen: Familie Sahakyan. Bild: Sebastian Prey

HAMBURG taz | "Oh mein Gott Daaaanke Danke Ich bleeeeeeeeeeeeeeeibe!" Dieser Facebook-Eintrag war die erste Reaktion vom 14-jährigen Tigran Sahakyan, als er am Dienstagnachmittag erfuhr, dass er und seine Familie in allerletzter Sekunde doch nicht nach Armenien abgeschoben werden.

Kurz zuvor hatte Emil Schmalfuß, Justizminister Schleswig-Holsteins, seine Entscheidung vom Februar, die Familie sei abzuschieben, mit Verweis auf die neue Gesetzeslage (siehe Kasten) per Härtefall-Entscheidung revidiert. Die Nachricht erreichte die Familie auf gepackten Koffern. Sie sollten am Mittwochmittag von Hamburg nach Jerewan ausgeflogen werden.

In den letzten Tagen hatte die drohende Abschiebung ganz Stockelsdorf, den bei Lübeck gelegenen Wohnort der Familie, aufgerüttelt. Viele BürgerInnen, die Tigran, seinen Eltern Levon (56) und Aida (43) und seiner achtjährigen Schwester Elena nahestehen, schlossen sich zusammen, um für den Verbleib der Familie einzutreten. Eine Facebook-Gruppe mit dem Titel "Tigran bleibt hier" zählt nun fast 4.000 MitgliederInnen und unterstützte die Familie ebenso wie eine eigens eingerichtete Website. Auch der Sportverein ATSV Stockelsdorf, in dem Tigran Fußball spielt, veranstaltete Aktionen und Kundgebungen.

Am 1. Juli 2011 ist Paragraf 25 a des Aufenthaltsgesetzes in Kraft getreten.

Das Gesetz besagt, dass bei gut integrierten Jugendlichen im Alter von 15 bis 20 Jahren die Aufenthaltsgewährung nicht mehr automatisch an die der Eltern gekoppelt ist.

Als Bedingung muss der Jugendliche seit mindestens sechs Jahren in Deutschland leben und eine Schule besuchen, oder einen Schul- oder Berufsabschluss erworben haben.

Nach § 23 a darf die oberste Landesbehörde eine Aufenthaltsgewährung in Härtefällen anordnen. Härtefälle sind gegeben, wenn bei ausreisepflichtigen AusländerInnen dringende humanitäre oder persönliche Gründe den Aufenthalt in Deutschland rechtfertigen.

"Wir haben unter anderem ein Schreiben an den Ministerpräsidenten geschickt. Darin haben wir an die Menschlichkeit der Politiker appelliert und auch klipp und klar unsere Wut zum Ausdruck gebracht", sagt Gerd Rauther, der zweite Vorsitzende des ATSV. "All die Aktionen der Zivilcourage haben mit Sicherheit sehr viel bewegt und dem Justizminister die Augen geöffnet". Den Einfluss der BürgerInnen will auch Oliver Breuer, Pressesprecher des Justizministeriums, nicht bestreiten: "Durch die Ereignisse vor Ort und die Berichterstattung wurden unsere Blicke verstärkt auf den Fall gelenkt. Daraufhin hat der Minister diese Lösung gefunden."

Ob mit der Entscheidung des Justizministers nun die Debatte um die umstrittene Bleiberechtsregelung neu entfacht und überdacht wird, bezweifelt er hingegen: "Diese Entscheidung setzt keinerlei Automatismen in Gang. Jeder Fall wird nach wie vor als Einzelfall behandelt werden", sagt er. Für den Fraktionsvorsitzenden der Grünen in Schleswig-Holstein, Robert Lambeck, soll das Schicksal Tigrans Signalwirkung haben: "Wir müssen von diesen Einzelfallentscheidungen wegkommen und einen Weg zu einer neuen Politik in der Abschiebefrage einschlagen. Der bisherige ist nicht nur politisch falsch, sondern auch menschlich schäbig."

Tigran kann sein Glück noch nicht fassen. "Ich bin soooooooo sprachlos", postet er in der Facebook-Gruppe. Beim Grillfest, das der ATSV am Mittwoch für ihn veranstaltete, stand die Freude natürlich im Vordergrund. Doch auch der Familie ist klar, dass die neue Regelung nur bis zur Volljährigkeit Tigrans gültig ist. Wie es danach weitergeht, ist noch völlig ungewiss.

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