Kommentar Rating-Agenturen: Europäisch ist zu dürftig

Wir brauchen externe Oberschiedsrichter, die wirklich unabhängig von den Interessen der Finanzmarkt-Akteure und der Regierungen Staaten und ihre Schulden bewerten.

An sich machen Ratingagenturen einen nützlichen Job als Oberschiedsrichter. Will eine Bank, ein Industriekonzern oder ein Staat sich Geld leihen, werden Wertpapiere aufgelegt und diese Anleihen an Investoren aus aller Welt verkauft. Jeden Tag werden hunderte solcher Anleihen neu auf die Finanzmärkte geworfen, viel zu viele, um den Überblick zu wahren. An dieser Stelle kommen Ratingagenturen ins Spiel. Sie bewerten die Solidität solcher Wertpapiere. Wird beispielsweise Washington, dessen Auslandsschuldenlast weit schwerer als die Athens wiegt, bis 2021 Monat für Monat seine Zinsen brav begleichen?

Bislang haben Moody´s und Konsorten ihre Arbeit ordentlich gemacht - aus Sicht des angelsächsischen Finanzkapitals! Daher wäre ein starkes europäisches Gegengewicht politisch und wirtschaftlich zweckmäßig. Europäisch allein ist jedoch zu dürftig. Vor allem brauchen wir externe Oberschiedsrichter, die wirklich unabhängig von den egoistischen Interessen der Finanzmarkt-Akteure und der Regierungen Staaten und ihre Schulden bewerten.

Eine privatwirtschaftliche Stiftungslösung wird nun aus dem Weichbild der Deutschen Bank vorgeschlagen - um eine öffentliche zu verhüten. Das kann in der Praxis keine befriedigende Lösung ergeben. Und ist zudem eine, die es bereits gibt: Europäische Kreditversicherer wie Hermes und Coface sind längst auf dem Markt mit eigenen Ratingagenturen. Die notwendige Unabhängigkeit und Transparenz bei Staatsanleihen könnte bestenfalls eine öffentliche Agentur sichern.

ist taz-Autor.

Das Kernproblem löste aber selbst sie nicht. Politik, Notenbanken und Unternehmen haben mit ihrem blinden Glauben an die unsichtbare Hand des Marktes entscheidend zu der Abhängigkeit von den Ratingagenturen beigetragen. Spätestens seit der großen Finanzkrise wissen wir, wie wichtig die Emanzipation von Urteilen der Oberschiedsrichter ist, von allen. Rating ist gut, Selbstkontrolle ist besser.

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Soziologe und promovierter Wirtschaftswissenschaftler. Spezialgebiete: Banken/Versicherungen/Finanzmärkte und maritime Industrie. Arbeitet seit 1995 als freier Wirtschaftspublizist in Hamburg. Zahlreiche Buchveröffentlichungen, zuletzt „Gewinn ist nicht genug! 21 Mythen über die Wirtschaft, die uns teuer zu stehen kommen“, Rowohlt Verlag, Reinbek 2021.

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