Kommentar China-Besuch: Das falsche Signal an China

Ein Besuch der warmen Worte. Diese Nähe ist erstaunlich. Stellt sie doch wirtschaftliche Interessen in den Vordergrund und blendet bewusst die Realitäten Chinas aus.

Ein denkwürdiger Besuch des chinesischen Premiers Wen Jiabao in Deutschland ist am Dienstag zu Ende gegangen. Denkwürdig deshalb, weil beide Seiten noch nie so viele Gemeinsamkeiten demonstriert haben. Mit gleich 13 Ministern war Wen Jiabao angereist. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Kabinettsmitglieder empfingen sie zu sogenannten Regierungskonsultationen.

Die Gäste ihrerseits veröffentlichten zum ersten Mal ein Weißbuch über die Beziehungen zu einem anderen Land: zur Bundesrepublik.

Ein Besuch der warmen Worte und Streicheleinheiten. Diese Nähe ist, gelinde gesagt, erstaunlich. Sie stellt demonstrativ wirtschaftliche Interessen in den Vordergrund und blendet bewusst die Realitäten Chinas aus.

Eine dieser Realitäten ist: Die KP ist im Augenblick geschüttelt von Angst, dass sie von sogenannten feindlichen Kräften gestürzt werden könnte. Sie hat die heimischen Medien und Parteimitglieder deshalb angewiesen, Zensur und Spitzelwesen zu verstärken.

Die Bundesregierung begründet ihre freundliche Haltung mit dem neuen Status Chinas als "Aufsteiger der letzten beiden Jahrzehnte". Ohne Peking könne "kaum ein größeres Problem in der Welt" mehr gelöst werden, sagte Außenminister Guido Westerwelle. Premier Wen Jiabao dankte mit der Ankündigung, das Handelsvolumen mit Deutschland in den nächsten fünf Jahren zu verdoppeln.

Dieser große Bahnhof ist das falsche Signal. Die Pekinger Politiker verstehen ihn als Freibrief nach dem Motto: "Ihr könnt noch so viele Menschen ins Gefängnis werfen, wir werden euch trotzdem respektieren." Spätestens jetzt müsste allen klar sein, dass Druck auf China nur möglich ist, wenn die EU gegenüber Peking geschlossener auftritt. Brüssel braucht eine gemeinsame Chinastrategie. Stattdessen haben Merkel und Westerwelle das Spiel "Wer umgarnt Peking am besten?" gespielt - so wie vorher in London David Cameron.

Ein Berater des chinesischen Außenministeriums beschrieb das Verhältnis Pekings zu den Europäern jüngst so: Die Chinesen seien an "strategischen Visionen und globaler Perspektive interessiert". Er sagte weiter: "Europa dagegen scheint zu glauben, dass es wichtiger ist, wie viele Flugzeuge gekauft und wie viele Verträge unterzeichnet werden." Präziser kann man es kaum auf den Punkt bringen.

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Bis Anfang 2012 Korrespondentin der taz in China, seither wieder in der Berliner Zentrale. Mit der taz verbunden seit über zwanzig Jahren: anfangs als Redakteurin im Auslandsressort, zuständig für Asien, dann ab 1996 Südostasienkorrespondentin mit Sitz in Bangkok und ab 2000 für die taz und andere deutschsprachige Zeitungen in Peking. Veröffentlichung: gemeinsam mit Andreas Lorenz: „Das andere China“, wjs-verlag, Berlin

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