Atommüll: Atomminister propagiert Hintertürchen

Niedersachsens Umweltminister Sander schlägt ein oberirdisches Endlager für radioaktive Abfälle vor.

Freund der Atomenergie: der niedersächsische Umweltminister Hans-Heinrich Sander vor dem AKW Grohnde. Bild: dpa

HANNOVER taz | Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) schlägt vor, radioaktive Abfälle künftig für 100 bis 150 Jahre oberirdisch aufzubewahren. Der Vorschlag stößt bei Opposition und Atomkraftgegnern auf Kritik. Auch das Bundesamt für Strahlenschutz lehnt den Vorstoß ab.

Nach einigen Jahrzehnten oberirdischer Lagerung, erklärte Sander am Mittwoch in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, könnte der Atommüll bei entsprechendem wissenschaftlichen Fortschritt als Energieträger genutzt werden. Konkret denke Sander dabei an eine "Bunker-Lösung", präzisierte seine Sprecherin Jutta Kremer-Heye gestern: In Bunkern könnte der strahlende Müll aufbewahrt werden.

Solche "Endlager auf Zeit", wie Kremer-Heye sie nennt, sollten auf den Geländen bereits stillgelegter Atomkraftwerke errichtet werden. Von Vorteil sei dort, dass die "Akzeptanz in der Bevölkerung an diesen Standorten größer ist als anderswo".

Zunächst, so fordert Sander, müsse der Salzstock im niedersächsischen Gorleben als Endlager für hochradioaktiven Müll weiter erkundet werden. Zugleich müssten aber auch Alternativ-Standorte und Alternativen zur tiefengeologischen Endlagerung in Salz-, Ton- oder Granitformationen geprüft werden. Das stehe auch bei den derzeitigen Gesprächen mit der Bundesregierung zur Zukunft der Atomkraft "auf der Agenda", erklärte Kremer-Heye.

Rückendeckung bekommt Sander bei seinem Vorstoß von Ministerpräsident David McAllister (CDU). McAllister fordere ausdrücklich, dass bei der Endlagerung die Rückholbarkeit des Atommülls gewährleistet sei, erklärte sein Sprecher Franz-Rainer Enste. Mit Sanders Bunker-Lösung sei die gegeben.

Eine klare Absage kassierte Sander hingegen vom Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), das im Auftrag der Bundesregierung zuständig für die Entsorgung radioaktiver Abfälle ist: "Dafür stehe ich nicht zur Verfügung", sagte BfS-Präsident Wolfram König am Mittwoch in Hannover. Endlager auf Zeit seien "virtuelle Lösungen", das Problem der Atommüllentsorgung werde so nur auf künftige Generationen verlagert.

Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) bereitet derzeit die Stilllegung zweier Problemfälle im Norden vor: Das sachsen-anhaltische Atommüllendlager Morsleben, das bis nach Niedersachsen reicht, und das Versuchs-Endlager Asse nahe Wolfenbüttel - beide sind einsturzgefährdet, in beide sickert Wasser.

Mit Salzbeton verschließen will das BfS die einstige Kaligrube Morsleben, in der 36.750 Kubikmeter Atommüll - zum Teil noch aus DDR-Zeiten - lagern. Um die Kammern soll es zusätzlich Abdichtungsbauwerke geben.

Die Stabilisierung ist abgeschlossen: in Morsleben wurden 27 Hohlräume, in denen keine radioaktiven Abfälle lagern, mit Beton verfüllt. Die Kosten belaufen sich auf 163 Millionen Euro.

Das Planfeststellungsverfahren für die Stilllegung läuft, im Herbst werden die rund 15.000 Einwendungen erörtert.

20 Jahre wird die Stilllegung dauern und zwei Milliarden Euro kosten.

Bei der Asse verfolgt das BfS eine andere Strategie: Es will die 126.000 Fässer mit schwach- und mittelradioaktivem Müll bergen.

Geprüft wird die Rückholbarkeit zunächst mit einer Faktenerhebung zum genauen Zustand und Inhalt der Fässer.

Standsicherheit bis 2020 attestieren Gutachten der Asse. Das BfS plant, das ehemalige Salzbergwerk bis Ende 2011 zu stabilisieren.

König sprach sich für eine zügige bundesweite Endlagersuche aus: "Das ist eine nationale Aufgabe", sagte er. Bei der Endlager-Frage müsse ein Konsens gefunden werden, "der über Parteigrenzen und gesellschaftliche Gruppen hinweg getragen wird und sich nicht alle vier Jahre mit den politischen Mehrheiten ändert", erklärte der BfS-Präsident.

Auf Ablehnung stößt Sander auch in der Opposition: Von einem "Ablenkungsmanöver" spricht die Linksfraktion. Der Umweltminister offenbare die "universelle Beliebigkeit" eines "proatompolitischen Wirrkopfes", heißt es von den Landtagsgrünen. Sie fordern eine bundesweite Verständigung auf einen Energiekonsens samt Endlagersuchgesetz - nur das garantiere eine transparente und wissenschaftsbasierte Standortsuche.

Der SPD-Umweltpolitiker Detlef Tanke fürchtet, Sander lasse eine "Hintertür offen, damit der Ausstieg aus der Atomwirtschaft irgendwann doch noch rückgängig gemacht werden kann". Die Bürgerinitiative (BI) Lüchow-Dannenberg erklärte, Sander wolle die Atommüllentsorgung auf die lange Bank schieben. "Absurd" sei der Vorschlag, Atommüll oberirdisch zu lagern und künftig als Energiequelle zu nutzen. "Aber Absurdität ist ein Markenzeichen Sanders", so die BI.

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