Berlin pokert wieder: Bluffen, bis die Augen rot sind

Hunderte Spieler treffen sich am Potsdamer Platz zur "European Poker Tour". Nervös ist keiner - trotz des Überfalls im vergangenen Jahr.

Wenn das Klischee stimmt: Pokerface am Potsdamer Platz Bild: dpa

Frauen sind hier Mangelware. Allenfalls ein paar Hostessen in schwarz-weißen Uniformen laufen geschäftig zwischen den Tischen herum. Ansonsten ist die Spielbank Berlin am Sonntag eine Männerdomäne. "Das ist nichts für Frauen", erklärt ein sehr junger Mann. "Beim Pokern muss man logisch denken." Er sitzt im Eingangsbereich lässig in einem der Ledersessel und wartet darauf, dass sein Turnier beginnt: eines der "Side Events" der European Poker Tour. Der Hauptwettbewerb ist in der Endrunde angekommen, dort geht es inzwischen fast um einen Millionenbetrag.

Für eines der Nebenturniere koste die Teilnahme bis zu 5.000 Euro, erzählt der junge Mann. Woher er so viel Geld habe? "Wer hat das nicht?", fragt er zurück und gewährt einen Blick auf die Rolex an seinem Handgelenk. Der Jugendliche - Hemd, Pullunder, Sonnenbrille im gegelten, bleistiftkurzen Haar - ist mit Freunden aus Lübeck angereist zum Pokerturnier am Potsdamer Platz. Er ist einer von Hunderten, die seit Mitte vergangener Woche an den Casinotischen stehen, spielen oder Branchengrößen sehen wollen. Der Veranstalter bezeichnet die European Poker Tour als "die bekannteste und lukrativste Pokertour Europas", ein wichtiges Treffen der Spielergemeinde ist sie allemal.

Gepflegte Langeweile zwischen schweren Vorhängen

Deren typisches Mitglied ist: männlich, jung, Sonnenbrille. Letzteres Accessoire wirkt zur Mittagszeit besonders absurd - die Veranstalter tun alles, um jegliches Tageslicht von den Spieltischen fernzuhalten. Schwere Vorhänge verhüllen die Fenster im ersten Stock der Spielbank. Draußen, wo die Sonnenbrille tatsächlich sinnvoll wäre und laues Frühsommerwetter lockt, waren die meisten Pokerer in den letzten Tagen offensichtlich kaum. Wer die Gläser hochschiebt, offenbart in der Regel gerötete, müde Augen. Es wird viel gegähnt.

Überhaupt herrscht in dem schwach besuchten Raum gepflegte Langeweile. Von Hektik keine Spur, von Nervosität auch nicht. Der Kontrast zum Vorjahr könnte nicht größer sein: Im März 2010 stürmten vier Vermummte mit Machete und Schreckschusspistole das Turnier und stahlen 242.000 Euro. Das Geld ist bis heute verschwunden. Die jungen Männer wurden von den Wachleuten in ein Handgemenge verwickelt, entkamen aber zunächst. Die Polizei kam ihnen dank Zeugenaussagen auf die Schliche. Die Gangster, vier 19- bis 21-jährige Neuköllner und Kreuzberger, sitzen für drei Jahre im Gefängnis. Seit August wird den zwei mutmaßlichen Hintermännern der Prozess gemacht (siehe Kasten).

Die European Poker Tour wechselte vom Hyatt-Hotel in die Spielbank gegenüber, wo Kassen mit Sicherheitsglas geschützt sind und von Kameras beobachtet werden. Besucher müssen durch eine Sicherheitsschleuse, ein Polizeiauto steht vor dem Gebäude. Im Mitarbeiterlift ist ein Zettel angebracht, darauf steht, die Angestellten sollen während des Turniers ihre Ausweise dabeihaben und dass sie am Eingang durch Metalldetektoren müssten. Ansonsten ist alles beim Alten geblieben.

"Einen Pokerspieler interessiert das eher weniger", sagt ein weiterer junger Mann, ebenfalls Hobbyspieler. Wie die anderen will er seinen Namen nicht nennen, sagt nur, dass er aus Köln kommt. Was reizt denn an der dämmrigen stundenlangen Spielerei? "Das ist ein Adrenalinschub", erklärt der junge Rolexträger, der Frauen das logische Denken abspricht. "Außerdem kann man viel Geld gewinnen." 45.000 Euro habe er einmal erreicht, beim Onlinepoker. Das Geld sei längst wieder in neue Einsätze investiert. "Ich habe keinen Bausparvertrag."

In einem abgetrennten Bereich im ersten Stock geht es längst um höhere Einsätze. Der Hauptwettbewerb ist in die entscheidende Phase eingetreten. Ein Ansager des Veranstalters spricht ein paar Sätze in die Kamera, dann beginnt der Croupier mit dem Mischen der Karten. Ruhig ist es dabei, keiner steht daneben und schaut zu: "No Visitors" prangt an der Saaltür. Davor lungert eine Gruppe Jugendlicher: Ein Mitglied ihrer Onlinegemeinde ist noch dabei, dem wollten sie eigentlich die Daumen drücken. Aber sie werden nicht eingelassen - und selbst sind sie längst aus den Wettbewerben geflogen.

Den Ausflug nach Berlin bereuen sie trotzdem nicht. Sie kommen aus allen Teilen Deutschlands, kannten sich bisher nur von den "Onlinesessions", bis zu zwölf Stunden langen Pokerrunden im Internet. "Da ist das hier eine gute Gelegenheit, auch einmal ein Gesicht zum Spieler zu bekommen", sagt ein 20-jähriger Student. Dass sein Einsatz weg ist, mache nichts. "Das kriege ich wieder rein."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.