CDU und FDP gegen sofortigen Atom-Ausstieg: Ausstieg zu zwei Dritteln

Krümmel und Brunsbüttel sollen nicht wieder ans Netz, Brockdorf aber erstmal weiterlaufen: Schwarz-Gelb in Schleswig-Holstein will die Energiewende - mittelfristig. Die Opposition wünscht sich mehr.

Die Opposition will gerne drauf drücken, Schwarz-Gelb will Brockdorf erstmal am Netz lassen: Der rote Knopf für die Reaktorschnellabschaltung. Bild: dpa

HAMBURG taz | "Man reibt sich die Augen über die neuen Freunde in der Anti-Atom-Bewegung", stellte der Grünen-Abgeordnete Detlef Matthiessen am gestrigen Mittwoch fest.

Der Kieler Landtag debattierte über die Energiepolitik - und war sich auf den ersten Blick fraktionsübergreifend einig: Die Reaktorkatastrophe in Japan bedeute eine Zäsur, "wir müssen neu nachdenken über die Zukunft unserer Energieversorgung", sagte Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) in seiner Regierungserklärung.

Anders als im schwarz-gelben Regierungsprogramm von 2009, in der "Kernenergie ein vorerst unverzichtbarer Teil in einem ausgewogenen Energiemix" genannt wird, sagte Carstensen nun: "Wir wollen den Übergang zu erneuerbaren Energien so schnell wie möglich."

Schleswig-Holstein führt die Atomaufsicht über drei AKWs:

Brokdorf: Druckwasserreaktor. Leistung: 1.480 Megawatt (MW). Betreiber: Eon, Partner: Vattenfall. Inbetriebnahme: 22.12.1986. Stilllegung Atomkonsens: 2022. Laufzeitverlängerung: 2033.

Brunsbüttel: Siedewasserreaktor. Leistung: 806 MW. Betreiber: Vattenfall, Partner: Eon. Inbetriebnahme: 9.2.1977. Stilllegung Atomkonsens: 2013. Laufzeitverlängerung: 2020. Außer Betrieb seit: 28. Juni 2007.

Krümmel: Siedewasserreaktor. Leistung: 1.401 MW. Betreiber: Vattenfall, Partner: Eon. Inbetriebnahme: 28.3.1984. Stilllegung Atomkonsens: 2021. Laufzeitverlängerung: 2033. Außer Betrieb seit: 28. Juni 2007.

Das konnten die anderen Fraktionen unterschreiben - über die Details herrschte dann doch noch Redebedarf. Am Ende stimmten CDU und FDP für einen Antrag, laut dem "ein sofortiger Ausstieg aus der Kernenergie nicht vertretbar ist".

Carstensen stellte eine "Drei-Punkte-Roadmap" vor, um mehr Strom aus erneuerbarer Energie zu produzieren. So soll ein Maßnahmen-Vorranggesetz den Ausbau des Stromnetzes beschleunigen und den Rechtsweg zu verkürzen. Netzbetreiber sollten mit einer "Sprinterprämie" gelockt werden, schnell neue Leitungen zu legen.

Drittens müsse die Verwaltung effizienter werden, unter anderem sollte nur eine Behörde zuständig sein, auch wenn eine Leitung mehrere Bundesländer quere. Carstensen sprach von einer "Stromautobahn" von Brunsbüttel nach Bayern. Er erklärte aber auch, dass die Energiewende ihren Preis habe: "Die Landschaft wird eine andere sein", etwa durch mehr Windkraftanlagen oder Maisfelder für Biomasse. Strom würde teurer werden.

SPD-Fraktionschef Ralf Stegner forderte statt Ankündigungen Beschlüsse. Es reiche nicht, wenn Carstensen die Kraftwerk-Betreiber Vattenfall und Eon "in Männergesprächen" dazu drängen wolle, auf das Wiederanfahren der abgeschalteten Pannenmeiler Krümmel und Brunsbüttel zu verzichten, "nein, es geht um klare Wirtschaftspolitik", sagte Stegner.

Anke Spoorendonk (SSW) erklärte: "Das, was dem Volk momentan von CDU und FDP verkauft wird, ist weiße Salbe. Es wurden keine echten Konsequenzen aus der Katastrophe gezogen."

Der schnelle Gesinnungswandel der schleswig-holsteinischen CDU-Politiker sorgte bei den Abgeordneten anderer Fraktionen für Kommentare: "Wir werden es nicht mit Häme quittieren, ich rede nicht von Wendehälsen", sagte Robert Habeck (Grüne), womit die Worte in der Welt waren.

Einiges klinge "unglaubwürdig von denen, die vor wenigen Wochen noch Laufzeitverlängerung wollten", fand FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki.

Die FDP in Schleswig-Holstein war in der Atomfrage immer kritischer als die Bundespartei und hatte sich bei ihrem Parteitag am vergangenen Wochenende erneut für den Ausstieg ausgesprochen - zumindest teilweise: "Alle Siedewasserreaktoren sollen vom Netz", lautet eine Kernforderung.

Damit wären Altmeiler zwar abgeschaltet, doch da die FDP deren Restlaufzeiten auf andere Reaktoren übertragen möchte, würde das das Ende des Atomzeitalters weit in die Ferne schieben: "Mit den Laufzeiten von Krümmel und Brunsbüttel bliebe Brokdorf bis 2059 am Netz. Da bin ich 90 und Herr Kubicki 107", berechnete Habeck. CDU und FDP sollten "nicht nur die Lippen spitzen, sondern auch pfeifen".

Der CDU-Fraktionschef Christian von Boetticher outete sich unerwartet als atomkritischer "Vorreiter in meiner Partei", stellte aber fest, dass ohne Atomkraft eine Versorgungslücke entstehe, die die Windenergie nicht abdecke. "Lassen Sie uns reden, wie wir sie füllen und die Frist zum Ausstieg verkürzen, da sind wir offen", wandte er sich an die Opposition.

Am Vortag hatte die CDU-Fraktion mehrere Stunden um ihre energiepolitische Haltung gerungen. Das Ergebnis war der gemeinsame Antrag mit der FDP, in dem sich die Fraktionen zum Moratorium und der Sicherheitsprüfung bekennen, die Abschaltung von Anlagen fordern, die unsicher sind - also Brunsbüttel und Krümmel - und bekräftigen, dass Schleswig-Holstein weiterhin Energie importieren soll.

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