Ausstellung: Begrenztes Erkennen

Die Bremer Weserburg zeigt Bilder und Fotografien von Achim Bertenburg: Erst auf den zweiten Blick lässt sich in den Anordnungen von Strichen, Schlieren und Kratzern etwas Gegenständliches oder Räumliches finden.

"Auf Ihren Bildern ist ja gar nichts zu sehen!" So könnten Besucher einer Ausstellung, die derzeit im Museum Weserburg zu sehen ist, den Künstler konfrontieren. Gezeigt werden Bilder des Bremer Malers Achim Bertenburg. Und das als Einzelausstellung.

Das ist ein Novum innerhalb der bisherigen Ausstellungspolitik des Museums, dessen Gründungsauftrag die Präsentation privater Sammlungen ist. Einzelausstellungen gab es nur für Künstler, die sich auf dem internationalen Markt einen Namen gemacht haben. Bremer waren bisher nicht dabei. Das ändert sich jetzt: Nun sollten auch Bremer Künstler ausgestellt werden, sagt Direktor Carsten Ahrens - "wenn wir sie großartig finden".

Doch wurden die Aktivitäten der Bremer Kunstschaffenden in der Vergangenheit nicht ignoriert, man beschied sich aber damit, ihre Arbeiten als Teil von Gruppenausstellungen zu präsentieren. So ist Bertenburg seit 2001 mit einzelnen Werken in der Weserburg vertreten. Zuletzt hing vor drei Jahren im Rahmen einer Sammlungspräsentation des Museums zwischen Werken von Gerhard Richter, On Kawara und Roman Opalka auch eine seiner Arbeiten. Chefkurator Peter Friese hatte die Größe des Malers schon vor Jahren erkannt und das Bild zwischen die weltberühmten Kollegen gehängt. Der Titel der Ausstellung war "Out of time", die Schwierigkeit des Sich-Erinnerns, Vergessen, Verschwimmen und Verschwinden die Themen vieler der ausgestellten Werke. "Bertenburg Malerei" - der Titel der aktuellen Ausstellung ist souverän gewählt, fast eine Art Manifestation.

Dabei hat die Malerei in den letzten 20 Jahren eine seltsame Karriere hinter sich gebracht: erst galt sie als veraltete Gattung, dann als letztes Refugium echter künstlerischer Handarbeit - hier wie da als groß und ernst und alt; mal positiv, mal negativ besetzt. Bereits durch die Fotografie auf dem Ausstellungsplakat wird die staubige Schwere des Wortes "Malerei" konterkariert. Das Foto hat Bertenburg vor zehn Jahren gemacht. Zu sehen ist der ältere der beiden Söhne des 1954 geborenen Malers. Er sitzt im Atelier des Vaters und malt, versunken in seine Arbeit. Im Hintergrund sieht man zwei Bilder des Vaters, darauf nichts als dunkle Nebelschleier in Öl. Dem Vater, so Friese in seinem Katalogtext, "wird bewusst, dass auch er vor vielen Jahren zu ähnlicher Selbstvergessenheit fähig gewesen ist und an einer vergleichbaren Gedanken- und Traumwelt Teil hatte, zu der er nun als Erwachsener keinen direkten Zugang mehr erhält". Von besonderer Bedeutung ist die "bei seinem Sohn zu beobachtende übergangslose Einheit von Denken, Träumen, Wahrnehmen und Handeln", die "mit dem Erwachsenwerden verloren geht, um schließlich in Vergangenheit zu geraten". Friese zeigt mittels der Fotografie einen Weg zum Verständnis der Bilder Bertenburgs. Das, was in Vergessenheit gerät wird dem Erwachsenen noch manchmal in Form vager, kurzer und sehr lose miteinander zusammenhängender Erinnerungsmomente bewusst - ähnlich der Schlieren und Schleier auf Bertenburgs Bildern.

Derart spielerisch erzeugte Irritationen und Enttäuschungen sind im Werk von Bertenburg oft zu finden. Auf den ersten Blick gewinnt man den Eindruck, man habe es mit rein abstrakter Malerei zu tun. Erst bei längerer Betrachtung gelingt es, in den Überlagerungen von Farbschichten, den Anordnungen von Strichen, Schlieren, Schrammen und Kratzern etwas Gegenständliches oder Räumliches zu erkennen. Dem Betrachter werden jedoch Schranken gesetzt, indem ihm eine vollständige gegenständliche oder räumliche, selbst grafische Entschlüsselung des Bildinhalts verweigert wird. So gleitet der Blick in die Tiefe, sucht nach etwas Bekanntem, an dem er Halt finden kann, erfährt aber eine deutliche Abweisung. Es gibt Andeutungen, mehr nicht. Kaligrafische Linien, sind bei Bertenburg eben keine kaligrafischen Linien, sie sind Bearbeitungen des Themas, nicht jedoch die bloße grafische Zierde ("Minuskel", 2010).

Auch ist die Andeutung einer Uferböschung bei Bertenberg eben nicht die Darstellung einer Uferböschung, sondern nur die Vorstellung, ein Erinnerungsrest oder gar das Traumbild ("Aus der Nähe", 2010). Das übermalte Bild einer Gruppe von Personen, ist nicht mehr das Bild der Gruppe: Es ist das Scheitern ihres Abbildes, dann dessen Nachschimmern, sein Rest ("Der Versuch", 2010). Friese nennt Bertenburgs Bilder "Entzugserscheinungen".

In seinem malerischen Vorgehen liegt weit mehr, als eine Verweigerungshaltung. Der Malprozess wird hier für den Maler zu einer existenziellen Angelegenheit, indem fundamentale Fragen nach den Möglichkeiten und Grenzen der Malerei aufkommen. Übermalungen und das gewaltsame Abtragen der Farbe, zwei Arten Gewesenes verschwinden zu lassen - nicht aber der Illusion zu erliegen, es ungeschehen machen zu können - zeugen von den sich daraus ergebenden Konflikten.

Bertenburg bringen diese Probleme nicht dazu sich in subjektivistische Formen eines "automatischen Malens" à la abstraktem Expressionismus zurückzuziehen, auch wenn einige seiner Bilder an informelle Malerei erinnern. Achim Bertenburg sieht das anders. Sein Bild "Diagramm" (2010), zeigt ein großes Durcheinander dunkelvioletter Linien und Punkte. Klare Sache: hier muss Jackson Pollock über die Leinwand getanzt sein. Bertenburg protestiert: "Gerade hier sieht man den Unterschied zum Informel", sagt er und macht auf den analytischen Grundcharakter seines Bildes aufmerksam.

Tatsächlich verweisen hier die Linien aufeinander, verzweigen sich wie in einem Diagramm, werden Bezüge zwischen Punkten hergestellt und Fehler in der Darstellung von Zusammenhängen korrigiert. Bertenburgs Diagramm enthält eine Reihe ausgewischter Linien. Der Wahrhaftigkeit des abstrakten Gedanken kann man sich ebenso wenig sicher sein, wie der konkreten Erinnerung einer Uferböschung.

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