Start der Handball-WM in Schweden: Endspiel zum Auftakt

Heiner Brand verzichtet auf Torsten Jansen und erntet dafür Kritik. Nicht nur deshalb ist ein deutsches Scheitern in der Vorrunde möglich: Nur die Torhüter sind in WM-Form.

Darf nicht mit nach Schweden: Thorsten Jansen im Trikot des Hamburger SV. Bild: dpa

Es war noch kein Ball bei der Handball-WM in Schweden geflogen, da befand sich Bundestrainer Heiner Brand bereits in der Defensive. Grund ist die überraschende Entscheidung des Gummersbachers, den Routinier Torsten Jansen (HSV Handball) auszusortieren und stattdessen für die Linksaußenposition auf Dominik Klein (THW Kiel) und Uwe Gensheimer (Rhein-Neckar-Löwen) zu bauen. Es gab öffentlich Vorwürfe von HSV-Coach Martin Schwalb. Es sei unwürdig, einen verdienten Spieler auf diese Weise auszubooten.

Bevor die Mannschaft am heutigen Donnerstag nach Kopenhagen fliegt und mit dem Bus zum ersten Standort Kristianstad weiterreist, um sich auf das Auftaktspiel gegen Ägypten vorzubereiten, rechtfertigte sich Brand. Noch nie habe er eine solch schwere Personalentscheidung treffen müssen. Auf die Vorwürfe reagierte er sichtlich gereizt. Er müsse nicht nach eleganten Lösungen suchen, ließ er wissen, "sondern nach der, die mir für die Mannschaft und den Verband am besten erscheint".

Ob diese Lösung tatsächlich die beste für die WM-Kampagne ist, das wird in der Szene extrem kontrovers diskutiert. Nicht nur der Manager der Füchse Berlin, Bob Hanning, hält die Nichtnominierung Jansens für einen "Fehler", wie er dem Tagesspiegel zu Beginn der Woche sagte. Viele Experten rätseln. Schließlich hat der Bundestrainer noch vor einer Woche erklärt, vorwiegend auf seine bewährte 6:0-Deckung zurückgreifen zu wollen.

Aber jeder weiß, dass Jansen in dieser Formation auf der halblinken Position absolute Weltklasse darstellt. Weder Klein noch Gensheimer erreichen hier annähernd das Niveau Jansens, wie die beiden Testspiele auf Island eindrücklich dokumentierten, auch wenn beide diese Position offensiver als Jansen interpretierten.

Das Turnier: Zum 4. Mal findet die WM in Schweden statt. Austragungsorte sind Malmö, Göteborg, Norrköping, Lund, Kristiansand, Jönköping, Linköping, Skövde. Eröffnungszeremonie der 22. Weltmeisterschaft ist am Donnerstag in Göteborg, das Endspiel am 30. Januar in Malmö.

Die Favoriten: Schweden, Spanien, Kroatien, Polen, Frankreich (Titelverteidiger).

Deutschlands Gruppengegner: Spanien, Frankreich, Ägypten, Tunesien, Bahrain spielen mit Heiner Brands Team in Gruppe A. Die besten drei Mannschaften erreichen die Zwischenrunde. Das erste Spiel ist am Freitag, 18.15 Uhr, gegen Ägypten.

Mehr Infos und Ergebnisse: Auf der WM-Webseite.

Das ist die eine Seite. Der andere, ebenfalls schwerwiegende Aspekt ist die Offensivleistung aller drei Akteure. Dass Gensheimer mit seinen Wurfvarianten auf Linksaußen zu den besten der Welt zählt, ist unbestritten. Klein jedoch haderte in diese Serie oft mit seiner schlechten Wurfquote, gerade gegen starke Torhüter behielt er die Nerven nicht. Nervenstärke in wichtigen Spielszenen aber zeichnete Jansen in den letzten Jahren stets aus. Das Leistungsprinzip allein kann also nicht die Basis der Entscheidung Brands sein.

Jansen selbst vermutet, dass seine Pause im Sommer eine Rolle spielt. "Vielleicht hat den Ausschlag gegeben, dass ich über den Sommer eine Auszeit genommen habe, um mal richtig zu regenerieren", sagte der 34-Jährige der Hamburger Morgenpost. "Dass meine Pause jetzt solche Konsequenzen hat, hätte ich nie gedacht." Klein hingegen war immer präsent, auch als es darum ging, in den Playoff-Spielen gegen Griechenland überhaupt die WM-Teilnahme zu sichern. Andererseits: Auch Mittelblocker Volker Zerbe genoss einst unter Brand größere Freiheiten.

Abzuwarten bleibt, wie sich die Nichtnominierung Jansens auf das Mannschaftsgefüge auswirkt. Jansen wird wegen seiner unaufgeregten Art sehr geschätzt. Torwart Johannes Bitter und Kapitän Pascal Hens sind mit ihm eng befreundet. Brand, der doch auf Teambildung ungeheuer großen Wert legt, spielt jedenfalls ein gefährliches Spiel.

Dabei ist der Bundestrainer auf eine sportliche Wende angewiesen. Einen zehnten Platz wie bei der EM im letzten Jahr kann sich der deutsche Handball nicht mehr leisten. Dass in der Vorrunde gegen Ägypten, Tunesien, Spanien und Frankreich "vier Endspiele" auf den Weltmeister von 2007 warten, erhöht noch den Druck: Sogar ein Scheitern in der Vorrunde halten viele Fachleute für möglich.

Die düsteren Prognosen fußen auf den Problemen der deutschen Rückraum-Asse in der Vorrunde der Bundesliga: Kapitän Pascal Hens (HSV) kam in seinem Klub hinter dem Kroaten Blazenko Lackovic kaum zum Einsatz. Lars Kaufmann (Göppingen) und Holger Glandorf (Lemgo) waren lange Zeit verletzt. Und Michael Kraus (HSV), der bei den letzten Tests gegen Island brillierte, ist körperlich etwas angeschlagen.

Auch auf Rechtsaußen, wo Christian Sprenger (Kiel) zuletzt eine unzureichende Wurfquote aufwies, und am Kreis könnte das Niveau nicht reichen, um gegen die körperlich präsenten Abwehrreihen der Spanier und Franzosen dagegenzuhalten. Man müsse diese Defizite eben mit Kampfgeist und Enthusiasmus ausgleichen, mit den typischen deutschen Tugenden, sagt der Weltmeister von 2007, Christian Schwarzer.

Allein die drei Torhüter Johannes Bitter (HSV), Silvio Heinevetter (Berlin) und Carsten Lichtlein (Lemgo) präsentierten sich zuletzt in WM-Form. Ob ihre Paraden ausreichen, die deutsche Mannschaft in die Hauptrunde oder gar ins Halbfinale zu tragen? Die Handball-Nationalmannschaft und ihr Trainer stehen vor schweren, fast unlösbaren Aufgaben in Schweden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.