An der Grenze: Kleinstadt mit Aussicht

Sonderburg will Europäische Kulturhauptstadt 2017 werden - gemeinsam mit dem Norden Schleswig-Holsteins. Die Entscheidung fällt nächstes Jahr.

Vielleicht bald die kleinste Kulturhauptstadt Europas: Sonderburg. Bild: Michael Staudt

Die Bezeichnung klingt nach Metropole mit großer Tradition und Weltruf: Europäische Kulturhaupstadt. Doch eine dänische Kleinstadt an der deutschen Grenze will diesen Titel bekommen, gemeinsam mit dem ländlichen Umland in beiden Staaten: Sonderburg. Die 30.000-Einwohner-Stadt arbeitet an einem Konzept, 2011 geht es in die erste Bewerbungsrunde, entschieden wird 2012. Auf jeden Fall eingebunden werden die Landkreise Schleswig-Flensburg, Nordfriesland und die Stadt Flensburg.

Deutsche Inseln wie Sylt und Städte wie Husum, Niebüll und Schleswig könnten also Spielstätten in einem Kulturhauptstadtjahr sein - auf dänischem Ticket. Denn dass 2017 eine der zwei Europäischen Kulturhauptstädte in Dänemark liegt, haben EU-Gremien schon festgelegt. Welche das genau sind, wird 2012 entschieden. Neben Sonderburg arbeitet Århus an einer Bewerbung, eine der wenigen dänischen Großstädte. Dort leben acht Mal so viele Menschen wie in Sonderburg. Aus diesem Grund gilt Århus als Favorit und Sonderburgs Bewerbung als Kampfkandidatur.

Doch in Sonderburg rechnet man sich ernsthafte Chance aus - jedenfalls bei den Organisatoren. "Es geht nicht um die Größe", sagt Else Christensen Redzepovic. Sie leitet das Bewerbungsbüro und erzählt von der ungarischen Stadt Pécs. Die war Kulturhauptstadt 2010 und hat sich im Bewerbungsverfahren gegen Budapest durchgesetzt, "die eigene Hauptstadt". Auf der Projekt-Website listet das Büro 15 Europäische Kulturhauptstädte auf, die weniger als 175.000 Einwohner haben - also deutlich kleiner als Århus sind.

Sonderburg will mit einer großen Idee punkten: "Die Bewerbung wird getragen von einer Versöhnungsbotschaft", sagt Redzepovic. Die deutsch-dänische Grenzregion könne ein Beispiel sein, wie man friedlich zusammen leben und Minderheiten als Stärke begreife könne. Die Bewerbung soll ein Statement gegen Nationalismus sein. "Kultur über Grenzen - Vielfalt leben", ist bisher das Motto des Bemühens. Und wo liegt der Vorteil gegenüber Århus? "Wir stehen am Tor nach Europa", sagt Redzepovic. "Wir sind internationaler in der Denkweise."

Seit 1985 können Städte für ein Jahr lang "Europäische Kulturhauptstadt" sein.

Herkunft: Welche Länder eine Kulturhauptstadt bekommen, wird von EU-Gremien festgelegt.

Aufruf: Das Auswahlverfahren beginnt sechs Jahre vorher - dann rufen die zuständigen nationalen Behörden formell dazu auf, sich zu bewerben.

Vorauswahl: Etwa fünf Jahre vorher werden die Kurz-Bewerbungen von einer Jury gesichtet. Aussichtsreiche Kandidaten dürfen eine Langbewerbung abgeben.

Endauswahl: Neun Monate nach der Vorauswahlsitzung wird eine Empfehlung für eine Stadt ausgesprochen. Offiziell ernannt werden die Städte von der EU.

Jury: Sieben EU-Vertreter und sechs Mitglieder des jeweiligen Landes entscheiden.

Doch die dänische Stadt an der deutschen Grenze ringt nicht nur mit dem Konkurrenten im eigenen Land um den Kulturtitel, sondern auch mit dem eigenen Schicksal. "Wir wollen uns nicht damit abfinden, die Entwicklung von anderen Provinzstädten zu nehmen", sagt Stephan Kleinschmidt, Stadtrat und Initiator der Bewerbung. Solche Kleinstädte verlören junge Menschen, wenn sie zur Uni gehen, sie vergreisten und verödeten. Kleinschmidt erzählt von Sonderburgs Gegenkultur, berichtet vom erst drei Jahre alten Gebäude Alsion, das Kultur, Wirtschaft und Bildung zusammenbringe. Die Universität für Süddänemark lehrt dort, Unternehmen haben Büros in einer Art Technologiezentrum und außerdem gibt es dort einen Klassik-Konzertsaal, in dem das Sinfonie-Orchester spielt. Sonderburg arbeitet auch an einer eigenen Hafen-City: Stararchitekt Frank Gehry, der unter anderem das Guggenheim Museum in Bilbao entworfen hat, entwickelte einen Masterplan mit Kunsthalle und Multikulturhaus. Die Gebäude sollen 2017 stehen.

Kleinschmidt selbst passt gut in die Werbestrategie: Er sitzt für die Schleswigsche Partei im Sonderburger Stadtrat - die Partei der deutschen Minderheit in Dänemark. Starke Unterstützung für seine Version wird er von einem Vertreter der dänische Minderheit in Deutschland bekommen: Der neue Oberbürgermeister von Flensburg, Simon Faber (SSW), hat mit dem Projekt Wahlkampf gemacht und dafür geworben, die Bewerbung sehr ernst zu nehmen und entsprechend zu unterstützen. Bisher waren die Politiker auf der deutschen Seite zurückhaltend. Es gibt wohlwollende Resolutionen von Landtagen und den Gremien in den Regionen. "Das Problem ist, dass man eher dazu neigt, mir warmen Worten zu helfen als mit Ressourcen", sagt die schleswig-holsteinische Landtagsabgeordnete Anke Spoorendonk (SSW).

Was auf deutscher Seite für die Bewerbung aufgeboten werden soll, steht noch nicht fest. Klar ist bisher nur, dass alle bestehenden grenzübergreifenden Projekte dazu gehören sollen wie das Festival Folk Baltica. Schon die Bewerbung allein, meint Flensburgs Kulturmanager Torge Korff, sei eine Chance, sich "als Kulturregion zu profilieren".

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.