Kommunikationsexperte über Schlichtung: "Nach einem Geißler sucht man lange"

Die Schlichtung war die einzige Möglichkeit, die Verständigung in Stuttgart wieder herzustellen, so Beobachter Frank Brettschneider. So ein Verfahren müsste aber am Anfang jeder Planung stehen.

Schlichtungsgespräche zu "Stuttgart 21": Für den kleinen Hunger zwischendurch. Bild: dpa

taz: Herr Brettschneider, was hat die Schlichtung gebracht?

Frank Brettschneider: Ganz unterschiedliche Dinge. Erstens muss man den Ausgangspunkt sehen, mit den harten Auseinandersetzungen im Schlossgarten. Die Schlichtung war das einzige Mittel, wieder eine Verständigung in der Stadt, sachliche Auseinandersetzung und respektvollen Umgang miteinander zu bekommen. Zweitens konnten sich die Menschen durch das Schlichtungsverfahren live mit den Argumenten beider Seiten auseinandersetzen und sich eine eigene Meinung bilden.

Eine inhaltliche Annäherung gab es aber so gut wie nicht.

Frank Brettschneider, 45 Jahre, ist Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim (in Stuttgart). Er hat jede Schlichtungsrunde von Anfang bis zum Ende verfolgt.

Eine Annäherung im Grundkonflikt Kopf- oder Tiefbahnhof konnte es zwar nicht geben. Trotzdem gibt es in einzelnen Punkten Bewegung. Das spiegelt sich auch in Geißlers Vorschlägen wider. Damit greift er auf, was die Gegner und ihre Gutachter vorgetragen haben. Dahinter können weder die Bahn noch das Land oder die Stadt zurück, ohne einen öffentlichen Ansehensverlust zu erleiden.

Hätte es ohne eine Liveübertragung eine größere Annäherung gegeben?

Die Übertragung war richtig. Anders hätte man den Vorwurf der Mauschelei nicht ausräumen können. Akzeptanz setzt Transparenz voraus. Dass sich Protagonisten vor laufender Kamera anders verhalten als im stillen Kämmerlein, ist klar. Aber auch in geheimen Verhandlungen hätte es keine Annäherung in der Frage gegeben, ob der Bahnhof oben bleiben soll oder nicht.

Sollten solche Gespräche künftig bei jedem Projekt dieser Größenordnung durchgeführt werden?

Ja, aber nicht erst, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Das muss künftig am Anfang der Planung stehen. Mehr Bürgerbeteiligung, aber auch schnellere Planungsverfahren wären sinnvoll.

Setzt sich tatsächlich jemand mehrere Stunden vor den Fernseher, wenn die Emotionen noch so hochgekocht sind?

Daran gibt es begründete Zweifel. Übertragungen von Ausschusssitzungen des Deutschen Bundestags sind beispielweise keine Quotenrenner. Aber man sollte die Bürger auch nicht unterschätzen. Sie sind anspruchsvoller und informierter geworden. Und das Web 2.0 bietet neue Vernetzungsmöglichkeiten.

Hing dieses Modell nicht auch ganz stark an der Person Geißler? Wer sollte jedes Mal so viel Zeit und Muße haben und würde obendrein so viel Akzeptanz auf beiden Seiten genießen?

Klar, Heiner "Yoda" Geißler hat diesem Modell seinen Stempel aufgedrückt. Er hat parteiübergreifend Vertrauen genossen. Und er hat sich als konsequenter Anwalt der Bürger verhalten. Entweder man findet solche Persönlichkeiten oder man muss professionelle Moderatoren nehmen, die sich auf solche Verfahren spezialisieren. Nach der Autorität, die Heiner Geißler ausstrahlt, muss man aber lange suchen.

INTERVIEW: NADINE MICHEL

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.