Proteste im Iran werden härter

ASCHURA Am höchsten schiitischen Trauertag kommen mehrere Menschen ums Leben. Demonstranten gehen gegen staatliche Einsatzkräfte und Einrichtungen vor

„Schließt euch an, wir sind kurz vor dem Sieg!“

VON BAHMAN NIRUMAND

Am Sonntag haben die seit Monaten andauernden Unruhen im Iran einen neuen Höhepunkt erreicht. Allein in der Hauptstadt Teheran folgten mehrere zehntausend Demonstranten dem Aufruf der Opposition zu Protestkundgebungen. Auch aus anderen Städten wurden Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften gemeldet.

Bei den Protesten sind mehrere Menschen ums Leben gekommen. Das bestätigte am Sonntagabend erstmals das staatliche Fernsehen. Augenzeugen und Webseiten der Opposition hatten schon zuvor von Toten und Verletzten in Teheran gesprochen. Unter den Toten soll auch ein Neffe von Oppositionsführer Mir Hossein Mussawi sein.

Die Website Djaras, die der oppositionellen „Grünen Bewegung der Hoffnung“ nahesteht, berichtete etwa, auf der Enghelab-Straße in Teheran hätten staatliche Einsatzkräfte zunächst versucht, die Demonstranten, die „Nieder mit dem Diktator“ riefen, durch Warnschüsse auseinanderzutreiben. Auch Tränengas, Pfefferspray und Schlagstöcke seien eingesetzt worden. Schließlich hätten die Sicherheitskräfte auf Demonstranten geschossen. Der BBC berichteten Augenzeugen von einem 50-jährigen Mann, dessen Leiche zunächst von Demonstranten weggetragen, dann aber von der Polizei in einem Krankenwagen abtransportiert wurde.

Am Nachmittag hatte die Nachrichtenagentur Isna allerdings noch den Chef der Polizei zitiert, der sagte, bislang habe er keine Informationen über Tote. Ausländischen Agenturen ist die Berichterstattung über die Ereignisse verboten, eine unabhängige Information gibt es nicht. Auffallend ist, dass die Auseinandersetzungen weitaus aggressiver sind als bei den Protesten der vergangenen Wochen. Dutzende Motorräder, die von Basidsch-Milizionären bei der Niederschlagung von Demonstrationen eingesetzt werden, wurden in Brand gesetzt. Auch Scheiben von Banken und Regierungsgebäude wurden eingeschlagen.

In der ganzen Stadt waren rasende Krankenwagen mit Sirenen zu hören, überall Rauchwolken zu sehen. Auf zahlreichen SMS-Sendungen und Webseiten stand der Aufruf: „Schließt euch an, wir sind kurz vor dem Sieg!“ Wie schon so oft, versuchte die Opposition auch am Aschura-Tag, offizielle Anlässe, bei denen Massenkundgebungen vom Staat veranstaltet werden, für Protestkundgebungen zu nutzen. Aschura erinnert an die Schlacht von Kerbela, bei der im Jahr 680 Hossein, der Enkel des Propheten Mohammed, und alle seine männlichen Verwandten getötet wurden. Der Tag symbolisiert den Märtyrerkampf für Gerechtigkeit. Darauf berufen sich auch die Demonstranten. Auf Plakaten wurde Revolutionsführer Ali Chamenei mit Jasid, dem Despoten, verglichen, der die Schlacht von Kerbela zu verantworten hatte.

Die Unruhen, die nach der umstrittenen Präsidentenwahl im Juni begonnen hatten, haben in den letzten Tagen durch den Tod des Großajatollahs Hossein Ali Montaseri, des geistigen Mentors der Opposition, einen neuen Aufschwung bekommen. Am Montag hatten fast eine Millionen Menschen in der heiligen Stadt Ghom dem Verstorbenen das letzte Geleit gegeben. An den Folgetagen kam es zu Protesten. Die Regierung hatte Trauerfeiern für Montaseri verboten und die Moscheen schließen lassen. Es ist schon absurd, wenn ein Regime, das sich auf den Islam beruft, Moscheen schließen lässt, Trauerfeiern verbietet und die Häuser von kritischen Großajatollahs von Schlägertruppen überfallen lässt. Auffallend ist auch, dass die Staatsführung anders als zuvor nicht mehr ohne weiteres Massenkundgebungen veranstalten kann.

Während die Opposition trotz massiven Aufgebots an Sicherheitskräften landesweit immer wieder zu großen Demonstrationen mobilisieren kann, bringt das Regime kaum mehr als zehntausend Leute auf die Beine. Den letzten Berichten zufolge haben sich am Sonntag immer mehr Polizisten Befehlen ihrer Vorgesetzten widersetzt, auf Demonstranten zu schießen. Sollte dies zu einer Spaltung der Sicherheitskräfte führen, wäre dies der Anfang vom Ende des Regimes.