Mürrischer Wanderer

Das Metropolis zeigt zwei Filme des Schweizers Peter Liechti – unter anderem „Hans im Glück“, einen pragmatisch-poetischen Essay über den sehr subjektiven Hader mit der Raucherentwöhnung

Ethnographische Sehnsucht nach Geborgenheit

von Jakob Hesler

Es gibt eigentlich nichts Langweiligeres und Peinlicheres, als anderen zu erzählen, man wolle mit dem Rauchen aufhören. Hier zählt das Ergebnis, nicht die Bemühung! Der Schweizer Filmemacher Peter Liechti jedoch macht aus der Peinlichkeit eine Tugend und aus seinem Aufhörenwollen etwas Spannendes – etwa in Hans im Glück, einem Film über „drei Versuche, das Rauchen loszuwerden“. Methode sind drei Fußmärsche durch die Schweiz.

Liechti wählt die Form des Essayfilms und zeigt mit seinen Reisen, dass es in Wirklichkeit, wie beim Wandern, eben doch nicht nur auf Resultate ankommt, sondern mehr noch auf den Weg dahin. Die auf Video dokumentierten Wanderungen stehen allerdings zunächst quer zu dieser Poetik, denn Liechti hat es ja auf ein Ergebnis abgesehen: „ein Nicht-Tun als Ziel“. Es ist ein steiniger Weg dahin. Miesepetrig vom Schmachten marschiert Liechti einher und filmt seine Füße, schimpft auf Berge, Täler, schlechtes Wetter, gutes Wetter, in dem sich überschmucke Dörfer am Bodenseeufer aalen wie „herausgeputzte alte Weiber“, und natürlich auf sich selbst.

Die Auflösungserscheinungen des Nichtrauchens, das Fehlen des gewohnten Welthalts der glimmenden Sinnstifter öffnen dabei die Augen für das Ungewohnte. Verblüffende, blitzartige Einsichten säumen die Strecke. Eine Lampe im öffentlichen WC sieht aus wie eine Petrischale voller Bakterien. Eine Widderfamilie im Gegenlicht auf zackigen Felsen erscheint als Schattenriss, wie er schweizerischer nicht sein könnte. Die nächste Einstellung entlarvt ihn als Zoo-Arrangement.

Oft demaskiert Liechti die behagliche Oberfläche des Schweizer Urtümelns aus Alphornblasen, Natonalfeiertagsirrsinn. Immer wieder sieht er aber auch das Liebenswerte: Dorfjugendliche, deren aggressive Prollmaske wegschmilzt, sobald sie gefilmt werden. Oder Senner Sepp, der winters im Supermarktlager aushilft und nebenher eine vollständige Philosophie in die Kamera schwyzert. Der unwirsche Wanderer als Ethnograph wider Willen – auch als Ethnograph seiner selbst: Er besucht seine Eltern, reflektiert sein Filmen, schaut zuletzt beim Tod vorbei, auf der Lungenkrebsstation. Das Ergebnis all dessen ist ambivalent. Die Entwöhungsmethode ist nach dem zweiten Marsch als Falle durchschaut, als Ausrede zum Wiederanfangen und Filmen. Andererseits würde man sich das entstandene Tagebuch am liebsten gleich noch einmal anschauen.

Auch in Namibia Crossings spielt Liechti mit der ethnographischen Sehnsucht nach Geborgenheit, auch wenn sie sich nun nach draußen wendet. Afrika: Ursprung und Lebensfreude? Oder verlorener Kontinent? Liechti, dem in Hans in Glück das Eigene fremd wurde, maßt sich hier gar nicht erst an, sich das Fremde anzueignen, wie es eine TV-Doku täte. Stattdessen beobachtet er die Proben, Konzerte und Touren der Hambana Sound Company: Zwölf Musiker aus Afrika, Russland und der Schweiz mischen ihre Ansätze erst miteinander und unterwegs dann mit denen von Ortsansässigen. Die ersten 40 Minuten werden vor lauter gut gemeinter Weltmusik etwas lang, doch dann bringt ein Konflikt narrative Dynamik: Die lokalen Traditionalisten wollen nicht länger dulden, dass begnadete Freejazzer ihre Melodien durcheinander wirbeln.

„Hans im Glück“: Di, 29.11.; „Namibia Crossings“: Mi, 30.11., 21.15 Uhr, Metropolis. Der Regisseur ist anwesend.