Demonstrationen in Madrid: Fußgängerzone mit Massengrab

Jede Woche demonstrieren in Madrid Angehörige von Opfern der Franco-Diktatur. Sie fordern, die Täter endlich vor Gericht zu bringen. Mindestens 112.000 Menschen wurden ermordet.

Die Schuldigen aus der Franco-Diktatur sollen vor Gericht gestellt werden. Bild: reuters

MADRID taz | "Was ist das?" fragt die 52-Jährige, die sich als "Karin aus Graz" vorstellt. Entsetzt schaut sie dabei auf ein riesiges Foto, das auf dem Boden des zentralen Platzes Puerta de Sol in Madrid liegt. Es zeigt in Originalgröße eine Ausgrabung von 29 Skeletten: gekrümmt, ineinander verschlungen. Bei einigen ist deutlich eine Einschussstelle am Kopf zu sehen. "Das ist ein Massengrab, das wir in Nordspanien gefunden haben", erklären die Menschen, die um das Foto herumstehen. Sie sind Angehörige von zur Zeit der Franco-Diktatur Ermordeten. Seit Juni demonstrieren sie jeden Donnerstag ab acht Uhr abends gegen die Straflosigkeit.

Geduldig erklären sie der Touristin die traurige Geschichte Spaniens. Mindestens 112.000 Menschen wurden im Bürgerkrieg (1936-1939) und den Jahren danach von den faschistischen Truppen des Generals Francisco Franco ermordet und irgendwo verscharrt. Sie hatten die Demokratie verteidigt. Franco regierte das Land bis zu seinem Tode 1975 mit eiserner Hand. Gerechtigkeit haben die Opfer bis heute nicht erfahren.

"Unglaublich!", stammelt Karin, als sie auch noch erfährt, dass der durch die Verfolgung des früheren chilenischen Diktators Augusto Pinochet international bekannt gewordene Richter Baltasar Garzón suspendiert und angeklagt wurde, weil er genau diese Verbrechen untersuchen wollte. "Das ist doch keine Vergangenheitsbewältigung!", empört sich Karin, die für zwei Tage Spaniens Hauptstadt besucht, und verschwindet dann im Einkaufsrummel.

Vorbild des wöchentlichen Protestes, erklärt Emilio Silva, ein Sprecher der Plattform gegen die Straffreiheit, sind die Demonstrationen der argentinischen Mütter der Plaza de Mayo.

Das Foto auf dem Boden reißt die Menschen aus dem allabendlichen Kaufrausch. Einige der Täter leben noch immer", erklärt José aus Barcelona. Der 65-Jährige, der keinen Nachnamen nennen will, ist in Madrid auf Montage "Es wird Zeit, dass die Verantwortlichen vor Gericht kommen", ergänzt José, der durch die Diktatur seinen Großvater verlor.

"Das ist Geschichte. Man sollte das ruhen lassen", meint dagegen Manolo. "Das entzweit nur", ist sich der 60-jährige Madrilene sicher. Seine Familie war im Bürgerkrieg gespalten. Einige mussten für ihre Treue zur Republik ins Gefängnis. Andere gehörten zur Seite Francos. "Gräueltaten wurden von beiden Seiten verübt", wirft Angel, 56, in die Runde.

Er verweist darauf, dass die Radikalsten unter den Verteidigern der Republik viele Nonnen und Priester ermordet haben. "Das stimmt wohl, aber im Unterschied zu unseren Opfern sind die namentlich bekannt, nach ihnen wurde in der Diktatur gesucht, und sie wurden ordentlich bestattet", wirft ein anderer ein.

Ein Jugendlicher schaut kurz interessiert zu dem Foto: "Geschichten", winkt er dann ab und nimmt seine Freundin an der Hand. Sie verschwinden in Richtung Disco am Ende der Straße.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.