Composer in Residence: Der Klang-Jongleur

"Ich betaste das Geräusch und forme es in Musik um": Matthias Kaul verwertet am liebsten den Sound des Alltags.

Kein bisschen eitel: Matthias Kaul. Bild: Maria Balabas

Er lacht viel und gern, auch über sich selbst: Matthias Kaul, der diesjährige "Composer in residence" in Hitzacker, reagiert sichtlich vergnügt auf die Frage, ob er aus Langeweile komponiere - oder nicht doch aus Berufung. "Weder noch", sagt der frühere Rock- und Jazz-Schlagzeuger. "Mir sind nur irgendwann die Soli ausgegangen. Als ich alle vorhandenen gespielt hatte, musste ich wohl oder übel selbst welche komponieren."

Die wiederum kamen so gut an, dass sich bald die Kompositionsaufträge häuften, die er kaum noch abarbeiten kann. Inzwischen schreibe er nur noch auf Anfrage. "Das macht mir viel Spaß", sagt der Kompositions-Autodidakt, "aber für mehr reicht die Zeit einfach nicht."

Kein bisschen eitel ist der 61-Jährige, sondern geradezu bodenständig - und wirklich sehr beschäftigt. Zum Beispiel mit dem Aufspüren von Geräuschen: Das Waschbecken, die Flaschen auf der Spüle, der Seifenhalter mit dem Geigenbogen gestrichen: Jeder Gegenstand hat seinen eigenen Klang, und diese Relikte des Alltags in Musik zu transformieren, das ist ihm ein Herzensanliegen.

Diese Haltung sei ein Relikt seiner Afrika-Aufenthalte vor 35 Jahren, sagt er. Dort hat er unter den Massai gelebt und war "total schockiert von der starken Verwurzelung der Musik im Alltag. Das war eine sehr starke Erfahrung". In Afrika finde sich Musik für jede Situation: "Da gibt es Lieder, um 20 Leute zu koordinieren, die ein Fischernetz an Land ziehen", erzählt Kaul. "Oder ein Schlaflied, bei dem das Kind nach jedem Satz ,aha' sagen muss, sodass die Mutter genau weiß, wann es eingeschlafen ist."

Inzwischen lebt Kaul wieder in Deutschland, genauer: im niedersächsischen Winsen an der Luhe, und hier sammelt er seine Alltagsgeräusche: das Klacken des Waschbeckens, das Gurgeln der Flaschen auf der Spüle, das Schnarren des Seifenhalters: All das integriert Kaul in seine Kompositionen.

Oder eben, wie für die Eröffnung der diesjährigen Musiktage, einen Sound aus der Antarktis. Ein unidentifiziertes Unterwasser-Geräusch, um das herum Kaul ein Stück zu komponieren hatte. Was tun? "Ich spiele damit. Ich lasse die Tonbandaufnahmen aus meinem Mund kommen und moduliere sie - oder ich leite sie per Schlauch in eine Flöte und improvisiere. Ich betaste das Geräusch und forme es in Musik um."

Erklärbarer wird das Geräusch dadurch nicht. Macht aber auch gar nichts, findet Kaul. "Mir geht es um die Neugier gegenüber dem Unbekannten." Das befreie, sagt er. "Es erlöst vom Zwang, alles verstehen zu müssen."

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