Vier Wochenöffentliches Fernsehen: Machs gut, Fanmeile!

Die Berliner nehmen Abschied von vier schönen Wochen voller Fußball. Beim letzten Deutschlandspiel sind deutlich weniger Besucher auf der Straße des 17. Juni unterwegs. Bei der nächsten WM könnte es gar keine Fanmeile mehr geben.

Heiß war's, dafür nicht so voll wie vor vier Jahren: Ein Besucher auf der Fanmeile am Samstag. Bild: APN

Es ist sehr warm an diesem Samstagabend. Ausgerechnet im Müllcontainer ist das Gedrängel am größten. Drei junge Männer werkeln in einer der orangenen Tonnen am Eingang zur Fanmeile nahe des Brandenburger Tors herum. Emsig klauben sie so viele Pfandflaschen zusammen, wie sie erwischen können. Bis der schwarzgekleidete Security-Mann angestapft kommt. "Haut ab hier, das ist Diebstahl." Er macht eine Handbewegung, als wolle er Fliegen verscheuchen. Die Angesprochenen klettern aus dem Container und verschwinden geräuschlos.

Es sind vergleichsweise wenige Fans auf den 17. Juni gekommen zu diesem letzten Spiel der deutschen Mannschaft. Viele schauen sich die Partie um Platz drei offenbar lieber zuhause an - oder bleiben gleich am See liegen. Sicher, vor der Bühne an der Siegessäule stehen die Fans dicht an dicht. Doch ein Stück weiter östlich ist das Geschiebe vorbei. Nach Schätzungen der Veranstalter sind anfangs nur rund 100.000 Besucher gekommen. Beim Spiel gegen Spanien sollen es mehr als drei Mal so viele gewesen sein.

Es ist heiß, aber die Polizei war bei den Fanfesten am Wochenende trotzdem im Einsatz. Und zieht für Samstagabend eine positive Bilanz: Den letzten Sieg der deutschen Mannschaft bei dieser WM hätten die Berliner und ihre Besucher überwiegend friedlich gefeiert. Der Ku'damm war am Samstagabend für den Verkehr gesperrt, hupende Autos wurden auf die angrenzenden Straßen verdrängt. Auf dem Breitscheidplatz veranstalteten nach Auskunft der Polizei etwa 400 Menschen eine spontane Party. Nach der Jubelfeier und der Säuberung der Fahrbahn wurde die Gegend rund um die Gedächtniskirche gegen 1 Uhr wieder für den Verkehr freigegeben. ALL

Auch anderswo in der Stadt, vor den unzähligen Flachbildschirmen der Kneipen und Spätkaufs auf den Bürgersteigen, geht es merklich entspannter zu. Seit der Katalane Puyol die Deutschen aus dem Finale köpfte, ist die Luft raus - und damit fehlt auch das Bedürfnis nach kollektivem Jubel. Jetzt geht es nur noch darum, die WM ausklingen zu lassen. Abschied zu nehmen von vier schönen Wochen Fußballgucken im Freien.

Auch bei Jens K. muss die Luft raus. Der schmale Junge im Flecktarn-Shirt hat sich an einen Seiteneingang der Fanmeile verzogen und presst dort die eben im Müllcontainer ergatterten Flaschen zusammen. "Sonst können wir die nicht transportieren", sagt der 21-Jährige. Er stopft das Plastik in einen großen Reiserucksack. Zu jedem Deutschland-Spiel ist er mit Mutter und Bruder aus dem Wedding ans Brandenburger Tor gekommen, um mit den Pfandflaschen der Besucher das Arbeitslosengeld II aufzubessern. 60 Euro hätten sie damit an einem Abend schon gemacht, erzählt Jens stolz. "Die Mülltonnen sind sonst überfüllt. Aber heute ist nicht viel los." Klar würde er sich freuen, wenn Deutschland gewänne. "Dann sind die Fans gut drauf und geben uns ihre Flaschen freiwillig."

Doch Jogis Jungs machen es noch ein Mal spannend. "Deutschland, Deutschland" singen einige Unverwüstliche auf der Fanmeile. "Bist du für Uruguay? Kannst gleich abhauen", quatschen zwei Deutschtürken mit schwarz-rot-goldenem Halsschmuck einen Passanten von der Seite an. Fertige Würstchen stapeln sich auf den Grills. Perücken und Fähnchen hängen an den Ständern der Buden. Keiner will sie mehr haben.

Viele Händler sind mit der Bilanz der Fanmeile unzufrieden. "Die Standmiete ist teuer, das Geschäft lief nicht so toll", sagt ein Verkäufer von Fanartikeln. Wäre Deutschland nicht bis ins Halbfinale gekommen, hätte sich die Sache gar nicht gelohnt. Während der WM 2006 sollen schätzungsweise neun Millionen Berliner und Touristen auf der Straße des 17. Juni gewesen sein. Nach Angaben der Fifa kamen in diesem Jahr bis zum Wochenende nur knapp 1,5 Millionen. Bei der Weltmeisterschaft in vier Jahren wird es möglicherweise gar keine Fanmeile mehr geben: Wegen der Zeitverschiebung zu Brasilien werden viele Spiele vorraussichtlich nachts übertragen, so eine Sprecherin der Veranstalter.

Endlich, das 3:2 für Deutschland. Ein Schlacksiger mit Jutebeutel springt vor einer der Leinwände in die Luft. Er klatscht sich mit zwei bierbäuchigen Männern ab, die er gar nicht kennt. "Das ist doch ein versöhnliches Ende der WM", sagt der 53-jährige Physiotherapeut aus Siemensstadt. Dann dreht er sich um. Er will vielleicht noch zu seinem Schrebergarten fahren. "Der braucht Wasser." Zusammen mit all den Lahms, Özils und - erstaunlich vielen - Balacks läuft er in Richtung S-Bahnhof davon.

Jens und seine Familie haben an diesem Abend zirka 130 Flaschen gesammelt, das macht 30 Euro Pfand, schätzt die Mutter. Doch ein Teil der Arbeit liegt noch vor ihnen. Zusammengestaucht nimmt die Flaschen niemand an. Zuhause müssen sie alle einzeln wieder aufblasen.

53-jähriger Deutschland-Fan

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