Umdenken in Sambia

Die Regierung verteilt gratis Medizin. Aufklärungsarbeit hat Aids enttabuisiert. Doch die Infiziertenzahl bleibt hoch

KOOMA taz ■ Rosemary Hampongo macht Pläne für die Zukunft. Ihr Körper ist nicht mehr so geschwächt wie noch vor wenigen Wochen. Seit sie Aidsmedikamente nimmt, geht es bergauf, sagt sie. „Ich kann wieder aufstehen und mich um Memory kümmern.“ Die 43-jährige Frau lebt in ihrer einfachen Rundhütte im Dorf Kooma tief im Süden Sambias, zusammen mit ihrer Nichte Memory Ng’andu. Das Mädchen ist 15 Jahre alt, seine Eltern starben vor sechs Jahren an Aids. Memory kann nicht lesen und schreiben, denn sie blieb der Schule fern, um für die kranken Eltern und nach deren Tod für die Tante zu sorgen.

Als Rosemary schwer krank war, brachte eine Verwandte sie in die Klinik in die nächste Stadt Chikankata. Dort gibt es Aidsmedikamente umsonst, die von Sambias Regierung seit kurzer Zeit ausgegeben werden. Jetzt ist die hagere, kleine Frau wieder stark genug, um im nächsten Dorf Bananen zu verkaufen. Von dem Geld holt sie Fisch, den ihre Nichte Memory an die Nachbarn in Kooma weiterverkauft.

Wenn Rosemary Hampongo ihrer Nichte erklärt, dass sie sich vor der Krankheit schützen soll, die sie selbst fast umgebracht hat, nickt Memory zurückhaltend. „Ich bin nicht sicher, ob sie alles versteht, was ich ihr über Aids erkläre“, sagt die Tante. Aber im Dorf ist die Krankheit kein Tabu mehr. Die Nachbarn reden miteinander und helfen sich gegenseitig. Das Stigma ist zumindest in Kooma überwunden. In einigen Dörfern der Region haben die rasant steigenden Todeszahlen und jahrelange Aufklärungsprogramme von Hilfsorganisationen dazu geführt, dass der Ältestenrat sich über Traditionen hinwegsetzt. So können Frauen, wenn der Mann stirbt, ihren Hausstand jetzt behalten und müssen sich nicht wie früher dem Bruder oder anderen Verwandten unterordnen. „Polygamie ist auch nicht mehr populär“, so Angela Hachitapika, HIV-Aids-Trainerin der Heilsarmee in Chikankata, die von Unicef unterstützt wird und mit den Gemeinden zusammenarbeitet.

Aber Armut und Hunger überschatten die Entwicklung. Sambias Aidskrise verschärft sich. In der Gruppe der 15- bis 44-Jährigen haben 16,5 Prozent das Virus. Schätzungen gehen von einer Million HIV-infizierten Erwachsenen unter den insgesamt 10,4 Millionen Sambiern aus. Die Zahl der Waisenkinder ist bereits auf 1,1 Millionen angestiegen. Viele Waisen gehen nicht zur Schule, rutschen ab in Prostitution oder Kinderhandel. „Die negativen Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft sind wie eine Zeitbombe“, sagt Gabriel Fernandez, Unicef-Mitarbeiter in Sambias Hauptstadt Lusaka.

Die Regierung von Sambia hat sich zum Ziel gesetzt, bis Ende 2005 100.000 Menschen mit Aidsmedikamente zu helfen. 27.700 Infizierte sind es bisher – Ressourcen und Ausbildung von Personal hinken den Plänen hinterher. Rosemary Hampongo aber hat das ihr Leben verlängert. Und sie nutzt nun auch die Chance, ihrer Nichte Memory notdürftig Lesen und Schreiben beizubringen. Denn die nächste Schule ist zwei Stunden Fußweg entfernt.

MARTINA SCHWIKOWSKI