Erfahrungen des DFB-Teams: Schülermannschaft der Herzen

Alle sind stolz auf die deutschen Jungs, dass sie ihre erste Prüfung gegen Ghana bestanden haben. "Sie müssen noch viel lernen", ist das Credo. Doch einige Entwicklungsprojekte sind schon gescheitert.

Die drei Jungs vom Billard-Tisch. Bild: reuters

JOHANNESBURG taz | Sie haben eine Prüfung bestanden. Deswegen war der Bundestrainer stolz auf seine Spieler nach dem Sieg gegen Ghana. Joachim Löw redete wie der Coach einer Schülermannschaft. Das macht er schon, seit die Vorbereitung auf die WM begonnen hat. "Diese junge Mannschaft", sagt Löw immer wieder, wenn er vom deutschen Team spricht. Er schwärmt von der Erfahrung der Gegner.

Das hat er vor dem Spiel gegen Ghana gemacht, als er sich sicher zeigte, dass die gegnerische Mannschaft mit jeder Art von Druck umzugehen weiß, was sie beim Afrika-Cup in diesem Jahr eindrucksvoll gezeigt habe. Und das macht er vor dem Achtelfinale gegen England: "Diese Mannschaft hat eine unglaubliche Erfahrung, sie hat so viele Spieler mit so vielen Einsätzen in der Champions League." Und sein Team? Es soll lernen.

Es ist ein gewagter Ansatz, mit dem Löw seine Spieler in das Turnier schickt. Und in Teilen ist er bereits gescheitert. Holger Badstuber schickte er explizit als Lehrling in das Weltturnier. Der sollte Erfahrung sammeln dürfen, weil Löw davon überzeugt ist, dass er irgendwann einmal ein wichtiger Spieler für die Nationalelf werden kann. Das Auftaktspiel gegen Australien war sein zweiter Einsatz im DFB-Trikot. Dass er sich am Spielaufbau so gut wie gar nicht beteiligt hat, das verzieh im Löw. Wird schon noch, dachte er sich wohl.

Wer bei einer WM den ganzen Weg geht, hat am Ende sieben Spiele gemacht. Viel Erfahrung kann man da nicht sammeln. Hat der Bundestrainer wirklich geglaubt, dass Badstuber so schnell lernt? Der junge Kerl vom FC Bayern hat dem Druck nicht standgehalten. Das Entwicklungsprojekt Badstuber ist gescheitert. Gegen Ghana saß er auf der Bank.

Doch Löw sieht die ganze Mannschaft als Perspektivteam, das an der Weltmeisterschaft wachsen soll. "In manchen Phasen des Spiels hat man gesehen, dass der Druck insgesamt vorhanden war", sagte Löw. Die vielen Ballverluste im Mittelfeld, die allzu häufig, allzu lasch gespielten Querpässe und die unüberlegten, oft zu früh und viel zu ungenau gespielten vertikalen Bälle in die Spitze legten den Eindruck nahe, dass sich Angst eingeschlichen hatte unter die Köpfe der deutschen Spieler.

Sami Khedira, der etliche Male den Ball verlor, möchte das gar nicht abstreiten: "Klar lotet man sich innerlich immer alle Möglichkeiten aus. Es wäre Quatsch, jetzt etwas anderes zu sagen." Und dann sagte er leicht angesäuert: "Es geht eben nicht so einfach, wie sich die Leute das vorstellen, dass da eine neue Generation geboren wurde, die eine Sensation nach der anderen abliefert." Da war es wieder. Das DFB-Mantra dieser Tage. Wir sind jung, wir können spielen, aber müssen noch viel lernen.

Auch Philipp Lahm, der Kapitän, sieht sich als Teil einer Lerngruppe. Der Klassensprecher der DFB-Azubi-Auswahl meinte nach dem zurückhaltenden Auftritt seiner Mitschüler, ja, was wohl? "Wir müssen etwas lernen aus diesem Spiel." Eine Lektion war da gerade gelernt: "Das Gefühl in einem K.o.-Spiel bestehen zu können, ist unheimlich wichtig." Und, klar, "die junge Mannschaft", habe schon unter Druck gestanden: "Es war einfach unsere Aufgabe, ins Achtelfinale vorzustoßen."

Die Deutschen haben sich eingerichtet in einer Lehrlingsmentalität. Jetzt wollen sie weiterüben gegen England. Und die Jungs dürfen ihre Erlebnisreise fortsetzen. "Das wird sicher interessant für die jungen Spieler. Gegen England war immer Pfeffer drin", sagt Lahm.

Die Gewissheit, eine gute Mannschaft für die Zukunft zu haben, die sich verfestigt hat im Team, hat die Spieler in den beiden letzten Spielen regelrecht gelähmt. Haben die Kicker sich daraus das Recht abgeleitet, Fehler machen zu dürfen? "Es war ein Krampf für einige Spieler", sagte Per Mertesacker, der vor allem in der ersten Halbzeit bisweilen gespielt hat wie ein Innenverteidiger im ersten Lehrjahr. Gewonnen haben die Deutschen, weil Özils Fernschuss nicht zu halten war. (Marcel Jansen: "Hauptsache, er hat das Ding reingezimmert."). Darüber haben sie sich dann gefreut, "gedämpft" (Sami Khedira). Auch das Jubeln über einen glücklichen Sieg muss noch gelernt werden.

"Turniermannschaft!" Mit einem Riesentransparent gaben Fans in Soccer City ihrer Gewissheit Ausdruck, dass die Deutschen sowieso weiterkommen. "Wir haben nichts zu befürchten", sagte Joachim Löw auf den Achtelfinalgegner England angesprochen. Turniermannschaft. Kann man lernen, das zu sein? Als Schülermannschaft brauchen die Deutschen sich den Engländern jedenfalls nicht entgegenzustellen.

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