Kommentar Kirchentag: Kein kritischer Dialog

Warum reden die Politiker auf dem Kirchentag so viel von Hoffnung, aber so wenig von ihrer eigenen Verantwortung? Dabei ist Jesus garantiert nicht für die Bankenkontrolle zuständig.

So einfach haben es Politiker selten. Weder ist besonderes rhetorisches Geschick gefragt noch eine tiefe theologische Durchdringung. Wer die Leitmotive Zusammenhalt, Zukunft und Hoffnung halbwegs geistreich verbinden kann, ist beim Kirchentagsvolk schon auf der Gewinnerspur. Und wer dann noch vermag, diese Formeln mit ein wenig Reue und dem Bekennen der eigenen Fehlhaftigkeit zu mischen, dem sind die Wogen der Anerkennung gewiss.

Kirchentage sind Heimspiele für Politiker. Entsprechend ist an ihnen so wenig vorbeizukommen wie an den Blechbläsern oder Papphockern. Das ist in München genau wie in den vielen Jahren davor. Fast genauso. Denn wer seine Ohren spitzt, vermag zwischen allem Klatschen und Jubeln und Huldigen leise Fragen zu hören.

Wie es denn kommt, dass die Verantwortlichen so wohlfeil von Hoffnung plaudern, aber so wenig von ihrer eigenen Verantwortung, dieser Hoffnung eine Richtung zu geben, sie mit politischen Inhalten zu füllen? Bei allem Respekt vor dem Allmächtigen, für die Bankenkontrolle ist Jesus nun mal nicht zuständig.

Weder Linksparteipolitiker noch Vertreter der Sozialdemokraten fragen, wie es denn die Kirche bei ihren eigenen Angestellten mit den Mindestlöhnen hält. Die Kanzlerin spricht zwar von Hoffnung in Zeiten der Verunsicherung und beschwört den Zusammenhalt. Wo aber sind die gewählten Volksvertreter, die sich der Diskussion wirklich stellen, welches Menschenbild denn diesem Zusammenhalt zu Grunde liegt? Wo wird künftig der Platz sein für den Schwachen, Kranken, Alten, den Außenseiter, der einen eigenen Rhythmus braucht, um leben zu können? Wo ist die Analyse, dass der Boden mehr als offensichtlich vorbereitet wird für den neoliberalen Durchmarsch.

Roland Koch hat uns einen ersten Eindruck davon gegeben, wo die Reise hingeht und auf welche Kosten ein Politiker sparen möchte, der beim Regieren gerne mal die Hände faltet. Und welche Botschaft geht von dieser Invasion der gewählten Volksvertreter für die aus, die nicht glauben oder einer anderen Religionsgemeinschaft angehören?

Es ist kein Zufall, dass diejenigen wie Außenminister Westerwelle, Verteidigungsminister zu Guttenberg oder Entwicklungshilfeminister Niebel kneifen, obwohl sie mit ihren Feldern zentrale Themen der Kirchen repräsentieren. Sie hätten da mit kritischen Fragen rechnen müssen. Ihre Abwesenheit ist symbolhaft für das Fehlen eines wirklich kritischen Dialogs von Kirche und Staat.

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Ines Pohl (Jahrgang 1967) war von Juli 2009 bis Juni 2015 Chefredakteurin der taz. Bevor sie als politische Korrespondentin für die Mediengruppe Ippen in Berlin arbeitete, leitete sie das politische Ressort der Hessischen /Niedersächsischen Allgemeinen. 2004/2005 war sie als Stipendiatin der Nieman Foundation for Journalism für ein Jahr an der Harvard University. Im Dezember 2009 wurde ihr der Medienpreis „Newcomerin des Jahres“ vom Medium-Magazin verliehen. Seit 2010 ist Ines Pohl Mitglied im Kuratorium der NGO „Reporter ohne Grenzen“. Außerdem ist sie Herausgeberin der Bücher: " 50 einfache Dinge, die Sie tun können, um die Gesellschaft zu verändern" und "Schluss mit Lobbyismus! 50 einfache Fragen, auf die es nur eine Antwort gibt" (Westend-Verlag)

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