Kampf um die Organe: Wenn das Herz noch schlägt

Kirchentage sind auch Arenen gesellschaftlicher Konflikte. In München treffen die Gegner und Empfänger von Organspenden aufeinander. Ein Lagebericht.

Ein warmer Körper wäre doch nicht mit Leben gleichzusetzen, so ein Medizinstudent. Bild: dpa

MÜNCHEN taz | Sie sind Gegner, die das Wort Gegner meiden. Die einen waren todkrank und haben ein Organ empfangen – die anderen sind Eltern, die es bereuen, einst eingewilligt zu haben, dass ihren gestorbenen Kindern Organe entnommen wurden.

Die Kontrahenten kennen sich gut von den Kirchentagen. Häufig haben der „Bundesverband der Organtransplantierten“ (BDO) und die „Kritische Aufklärung über Organtransplantationen“ (KAO) sogar direkt nebeneinander ihre Stände auf dem „Markt der Möglichkeiten“ aufgebaut. Diesmal sind sie durch einen Hof getrennt. „Reiner Zufall“, heißt es bei beiden Organisationen. Man müsse sich nicht meiden.

BDO-Pressesprecher Burkhard Tapp bedauert sogar, dass ihm diesmal kein Stand gleich neben der KAO zugewiesen wurde: „Dann hätten wir deren Falschinformationen leichter korrigieren können.“ Das sagt er freundlich, aber bestimmt. Genauso entschieden-freundlich ist auch Gebhard Focke von der KAO, wenn er über die Transplantierten spricht: „Die können doch gar nicht objektiv sein. Sie müssen ja damit leben, dass sie ein gespendetes Organ akzeptiert haben.“

Es gehört zur Tradition der Kirchentage, dass sich dort die unterschiedlichsten und konträren Initiativen präsentieren dürfen. In München haben über 900 Gruppen ihre Stände aufgebaut – und füllen damit vier riesige Messehallen.

Am KAO-Stand schildert Gebhard Focke einmal mehr, warum er sich bis heute nicht vergeben kann, dass er eingewilligt hat, dass seinem schwer verunglückten Sohn Arnd Organe entnommen wurden. „Was haben wir unserem Kind angetan?“

Noch immer hat er die „Schocksituation“ nicht verwunden, die sich damals im Krankenhaus abspielte. Eine Ärztin hätte einfach gefragt: „Ihr verstorbener Sohn war doch ein sozialer Mensch?“ Da hielten es die Fockes für ihre Pflicht, der Organspende zuzustimmen. Ihre nagenden Zweifel unterdrückten sie.

Es sind komplizierte Zweifel, die lange brauchten, um ihr elterliches Bewusstsein vorzudringen. Denn auch Gebhard Focke ist überzeugt, dass sein Sohn nie wieder das Bewusstsein erlangt hätte. Und er ist sich genauso sicher, dass Arnd in jedem Fall gestorben wäre. Aber er wirft sich vor, dass er seinen Sohn nicht bis zum letzten Atemzug begleitet hat – sondern dass Arnd allein auf einem OP-Tisch lag, als sein Herz aufhörte zu schlagen.

Bis heute fragt sich Gebhard Focke, ob sein Kind nicht doch noch etwas gespürt haben könnte, als ihm die Organe entnommen wurden. Denn sein Körper atmete noch, war warm und reagierte auf Berühungen. „Er war ein Sterbender, kein Toter.“

Focke kann daher nicht akzeptieren, was auf jedem Organspendeausweis steht: dass die Organe „nach dem Tod“ entnommen würden. Für ihn ist der amtlich festgestellte Hirntod eine medizinische Fiktion, die noch lebende Sterbende zu bereits Gestorbenen erklärt, damit sie als organische Ersatzteillager dienen können.

„Das ist polemisch“, sagt eine Medizinstudentin, die sich am KAO-Stand eingefunden hat. Ein warmer Körper wäre doch nicht mit Leben gleichzusetzen. „Theoretisch kann der Blutkreislauf sogar aufrecht erhalten werden, wenn der Kopf ganz fehlt!“ Focke nimmt diesen Einwurf gelassen hin. Er ist Widerspruch gewöhnt.

Auch BDO-Sprecher Tapp findet, dass sich die KAO-Eltern „extrem verhalten“. Er hätte immer wieder Kontakt mit Angehörigen von Spendern – und die meisten würden es als Trost erleben, dass von ihren Nächsten etwas bleibt.

Tapp, heute 54 Jahre alt, lebt seit acht Jahren mit einer neuen Lunge. Schon als Kind erkrankte er an einer Bronchienerweiterung, bei der sich in den Lungenbläschen Sekret sammelt, was zu permanenten Entzündungen führt. Am Ende konnte ihn nur noch eine Transplantation retten, die er als Befreiung empfindet. Erstmals fühlt er sich fast gesund.

Jedenfalls kann Tapp nicht erkennen, dass die meisten Transplantierten hinterher psychisch leiden würden, weil sie mit einem fremden Organ leben müssen. Das sei eine „verfälschende Darstellung“, die die KAO da verbreiten würde. Focke weist diese Kritik von sich: „In vielen Büchern steht doch, dass Transplantierte Probleme haben.“

Die Kirchentagsbesucher sind wie Botschafter zwischen den Transplantierten und den KAO-Eltern, die schon lange nicht mehr direkt miteinander diskutieren – wenngleich sie sich auf engem Raum eben aushalten müssen. Sie haben es aufgegeben, einander zu überzeugen. Aber es verbinde sie, so Tapp, „ein gewisser Respekt“.

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