Familiennachzug: Jahr zwei des neuen Lebens

Sieben Jahre verweigerte das Auswärtige Amt den Kinder der irakischen Flüchtlingsfamilie Abbas die Einreise. Nun werden die Töchter hier langsam heimisch.

Endlich eingewandert: Kanar (l.) und Bayar (r.) Abbas mit ihrer Lehrerin. Bild: Karl Martensen

An die Tafel haben die Schülerinnen der Sprachanfängerklasse 3 ein grünes Herz gemalt. "Herzlich Willkommen, Frau Beck", steht darin. 13 "späteingewanderte" Mädchen, alle um die 18 Jahre alt, bereiten sich an der Berufsschule im Bremer Stadtteil Walle auf ihren Hauptschulabschluss vor. Unter ihnen sind die 17-jährige Kanar Abbas und ihre zwei Jahre ältere Schwester Bayar. Dass die beiden Irakerinnen seit 18 Monaten hier lernen, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, denn ihre Eltern sind anerkannte Asylbewerber, vor Jahren geflüchtet vor dem Geheimdienst Saddam Hussein.

Tatsächlich aber dauerte es sieben Jahre, bis ihnen die Mädchen folgen konnten. Und wenn sich die grüne Abgeordnete Marieluise Beck, die die Klasse heute besucht, nicht ihretwegen mit dem Auswärtigen Amt angelegt hätte, säßen sie vielleicht immer noch im Irak.

So aber nimmt ihr neues Leben Formen an. Bayar will am Wochenende in ihre erste eigene Wohnung ziehen, zusammen mit ihrem irakischen Freund. "Für meine Eltern ist das schon traurig, aber da höre ich nicht auf sie", sagt die junge Muslima.

2001 flohen die Eheleute Abbas mit einem schwerstbehinderten Sohn aus dem Irak.

Vier Kinder mussten sie bei Verwandten zurück lassen. 2002 bekamen sie in Deutschland Asyl, trotzdem weigerten sich die deutsche Botschaften in Amman und Damaskus sechs Jahre lang, ihre Kinder nachkommen zu lassen.

Zuerst weil der "gesicherte Lebensunterhalt" nicht nachgewiesen sei, dann weil die Identität der Kinder nicht geklärt sei, schließlich meldete sie Zweifel an der leiblichen Elternschaft an - und schickte die Kinder in den Irak zurück.

Die Schule mag sie, auch wenn "mir Samstag und Sonntag immer der Kopf schwindlig ist." Im letzten Monat hat die Klasse Praktika gemacht, in Sonderpostenmärkten oder bei türkischen Bäckern. Kanars Stelle fällt heraus: Sie war in der Tagesstätte für schwerstbehinderte Kinder, in der auch ihr Bruder Kodo betreut wird. Beruflich hat sie andere Pläne: "Ich will Tierärztin werden." Ihre Lehrerin dämpft die Hoffnungen etwas. "Das ist noch ein weiter Weg", sagt sie. Doch dass Kanar bis zum Abi noch mindestens fünf Jahre die Schulbank drücken müsste, stört sie nicht. "Das wäre schon okay."

Ihre Schwester war in einem Friseursalon. Als Beck wissen will, ob es ihr dort gefallen hat, schüttelt sie den Kopf. Sie will Arzthelferin werden. Von 13 Mädchen in der Klasse sind neun teils seit Jahren verheiratet, vier haben Kinder. "Lasst Euch nicht erzählen, dass ihr zu Hause bleiben und Socken waschen sollt", sagt Beck. Das finden die Mädchen lustig. "Es gibt Fälle, in denen die Eltern oder Männer nicht wollen, dass die Mädchen später arbeiten", sagt die Lehrerin. Das sei aber "besser geworden".

Die Eltern von Bayar und Kanar bereiten sich derweil mit einem Deutschkurs auf ihre Einbürgerung vor. "Die wollen nicht mehr zurück", sagt Kanar. Sie selbst will das auch nicht. "Irak ist gefährlich", das sei auch im kurdischen Norden nicht anders, wo sie die Jahre verbracht haben, bis sie endlich die Einreiserlaubnis nach Deutschland bekamen.

Erst auf politischen Druck stimmte die Botschaft einem DNA-Test zu, der bewies, dass sie tatsächlich die leiblichen Kinder der Flüchtlinge waren. Auf den Kosten für die ganze Prozedur - über 18.000 Euro - blieb die Familie allerdings sitzen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.