Anna Hunger
: Anonyme Helden

Ein sehr guter Kollege fragte mich einmal, warum ich diesen Beruf ausüben möchte. Man müsse sich sicher sein, sagte er, dass man den Grund kennt. Das ist schon eine Weile her, und ich habe lange gebraucht, um mir selbst diese Frage zu beantworten. Einer unter vielen Gründen ist für mich, dass einiges schiefläuft in unserer Gesellschaft und ich finde, es sollte welche geben, die das aufschreiben.

Ich liebe meinen Beruf. Ich darf Teil sein eines Berufsstandes, der sich im besten Falle einsetzt für Schwache und gegen zu Starke. Manchmal schreiben wir sogar an der Geschichte mit. Vielleicht nicht an jener der großen, weiten Welt, aber an jener der kleinen Welten um uns herum.

Und wir Journalisten in Deutschland, die wir nicht um Leib und Leben fürchten müssen im Kampf für Pressefreiheit, die wir alle in Redaktionen sitzen, in denen uns ein wirklich warmer Wind um den Hintern bläst, genießen das Privileg, dass wir meistens schreiben können, was uns umtreibt und ärgert. Eigentlich.

In der vergangenen Woche hat Kontext einen Text über den Verleger Ullrich Villinger gebracht, den Chef des Zeitungsverlags Waiblingen (ZVW). Das Stück sollte zeigen, dass es noch Verleger gibt, die ihre Redaktionen trotz Zeitungsflaute nicht zusammenstreichen und keinen Einfluss nehmen auf redaktionelle Inhalte – und das in einer Landschaft, in der beides nicht mehr selbstverständlich ist.

In der Folge erreichten uns Anrufe von entrüsteten Redakteuren des Waiblinger Zeitungsverlags, ehemaligen vor allem, Mails über eine, zwei, drei Ecken. Sie schreiben, früher sei alles viel besser gewesen, Verleger Ullrich Villinger führe sich auf wie ein mittelalterlicher Potentat, sein Chefredakteur lasse viel mehr arbeiten, als in Einstellungsverträgen vereinbart. Das Redaktionsklima sei verseucht. Die Arbeitsbelastung gruselig. Gestreikt würde nie, aus Angst; „sie haben Schiss“, schreibt einer. Tod und Teufel.

Das klingt beinahe nach Krieg im ZVW. Wenn es so wäre, wenn sich da nicht nur solche beschweren, denen sowieso eine Laus über die Leber gelaufen ist, wären das schlimme Verhältnisse!

Deshalb haben wir all denen angeboten, ihre Beschwerden doch zu Papier zu bringen. Wir drucken sie! Das Ergebnis: fünf dürre Zeilen Spott. Verkämpfen wolle man sich für diese Sache nun auch nicht. Dafür ließ man uns ausrichten, zwei Ex-Redakteure hätten schon ihr taz-Abo gekündigt und viele andere würden „nie mehr“ eine taz am Kiosk kaufen.

„Auch ich bitte natürlich um strikte Anonymität“

Wer da nix mehr kauft, muss aber anonym bleiben, wie all die Vorwürfe und Anfeindungen:

„Ich bitte um Verständnis, dass ich Ihnen dies anonym zukommen lasse.“

„Die Quelle sollte stumm bleiben.“

„Auch ich bitte natürlich um strikte Anonymität!“

Journalisten, die anderen Journalisten mit Abo-Kündigung drohen, weil in einem Blatt nicht das steht, was man selber möchte? Den Chefs ans Bein pinkeln und nicht mal den eigenen Namen nennen wollen? Sich nicht verkämpfen wollen?

Liebe Kollegen, geht's noch? Solch himmelschreiender Katzenjammer und dann den eigenen Hintern nicht hochkriegen?

Feige, feige, feige!

Ist es nicht die originäre Aufgabe eines Journalisten, sich öffentlich zu empören? Sich einzusetzen? Kante zu zeigen?

Einmal mehr: Warum wird man Journalist? Um hübsche Geschichten zu schreiben, ja klar. Aber auch ein wenig, um die Welt zu verändern, oder nicht? Um wachzurütteln, die Leser zu informieren, wo und wann sie belogen werden, betrogen und hintergangen. Wie Mächtigere ihre Macht ausnutzen, wie der Bürger immer kleiner wird, wie Natur stirbt und welche Sprechblasen da wieder von den parlamentarischen Bühnen blubbern. Der Aufrichtigkeit verpflichtet, der Wahrheit vielleicht – und dann schafft man es nicht, für die eigene Sache einzustehen?

Da kneifen sie die Backen zusammen und ducken sich weg, aus Faulheit und Bequemlichkeit, sitzen lethargisch am sicheren Schreibtisch, während am Nebentisch der Eishauch vorbeizieht. Und spucken hintenrum große Töne, anonym. Da frage ich mich doch in all meiner halb jugendlichen Naivität und meinem zugegeben noch ungebrochenen Idealismus: Was ist denn los mit diesem Berufsstand?

Das Hirn auslüften, empfehle ich da, und sich einmal dieselbe Frage stellen, die ich mir immer wieder stelle. Warum übt man diesen Beruf aus?

Und dann, das wäre zugegeben schon Level zwei in diesem Spiel, muss man eben kämpfen und mit Rückgrat für eine Sache einstehen – auch und vor allem, wenn es die eigene ist.

Stattdessen: Genörgel über böse Chefs und Kollegen und Verleger und viel zu viel Arbeit und zu schlechtes Betriebsklima. Dann ändert doch was dran!

Das gilt übrigens nicht nur für den ZVW. Zwei Tage nachdem die Führungsriege des Stuttgarter Pressehauses verkündet hatte, zehn Redakteure abfinden zu wollen, kam Chefredakteur Joachim Dorfs in den Newsroom. Er hatte Geburtstag – und bekam von Redakteuren ein Geburtstagsständchen gesungen.