Kolumne Gerüchte: Marionettenfalten ahoi

Wenn Gabriele mit ihrer Hyaluronsäure zur Faltenunterspritzung anrückt, entwickeln sich philosophische Debatten.

Theresa hatte mir am Telefon schon angekündigt, es würde am Dienstagabend etwas voller bei ihr werden, "du weißt schon, Gabriele ist mal wieder da." Gabriele! Da sag` ich nur ein Wort: Hyaluronsäure! Alles klar?

Mit Hyaluronsäure kann man sich Falten unterspritzen lassen. Gabriele, eine alte Freundin von Theresa und eigentlich Krankengymnastin, hat das in einer Weiterbildung gelernt. Wenn sie aus Hamburg nach Berlin kommt, bietet sie zum Freundschaftspreis Privatbehandlungen an. Das Gästezimmer in Theresas großer Wohnung verwandelt sich dann in einen improvisierten Operationssaal, als befände man sich mitten in einem Katastrophengebiet. Wer will, kann sich für 300 Euro aufwärts die Substanz, eine chemisch betrachtet "helixartige Kette von Zweifachzuckern" unter die Haut injizieren lassen. Die Auffüllerei hält sechs Monate, danach sackt das Zeug langsam in sich zusammen.

Ich habe zuviel Angst vor dem Gepiekse, den Nebenwirkungen und auch ethische Bedenken. Trotzdem liebe ich die Hyaluron-Abende bei Theresa. Wegen der Gespräche.

"Nasolabialfalten", sagt C., "damit siehst du nun mal erschöpft aus. Und das passt doch gar nicht zu mir". Wir sitzen in der Wohnküche. C. ist als nächstes mit der Auffüllung dran. K. liegt gerade nebenan im Not-OP.

"Was heißt hier erschöpft aussehen?" versetzt Theresa, "Falten sind eine Folge der mimischen und der Gravitationsbelastung. Die haben doch mit dem inneren Energielevel nichts zu tun". Gravitationsbelastung! Theresa hat auch Schiss wie ich und würde nie was an sich machen lassen.

"Die kleinen senkrechten Tabaksbeutelfalten über dem Mund sind schlimmer als die Nasolabialen", sagt F., auch sie wartet auf die Behandlung, "damit siehst du richtig alt aus". Tabaksbeutelfalten! Das Gesicht der Frau ist ein Krisengebiet.

"Selbst mit tiefen Marionettenfalten kann man Kanzlerin werden", bleibt Theresa standfest. Marionettenfalten? Theresa klärt mich auf: Das sind die Falten von den Mundwinkeln zum Kinn, die dank Angela Merkel hoffähig geworden sind.

C. mit ihren Nasolabialfalten ist jetzt nach nebenan zu Gabriele verschwunden. K. tritt ein, fertig aufgefüllt. Leicht gerötet ist die Hautregion über ihren Lippen, war wohl eine Tabaksbeutelfaltenbehandlung. Sonst sieht sie normal aus. Die sogenannte Korrektur soll ja unauffällig sein.

"Wer sagt denn überhaupt, dass das Gerücht stimmt, dass Frauen mehr geliebt und geschätzt werden, wenn die Haut praller ist?" Theresa wird philosophisch. Doch K. ist das wurscht. "Man macht es doch vor allem für sich", sagt sie, "es ist, wie sich die Haare blondieren lassen. Das galt früher auch als gesundheitsschädlich und vulgär."

Später fahre ich nachdenklich nachhause. Morgen habe ich einen Termin bei meiner Shiatsu-Fußpflegerin, die badet, massiert, schleift und lackiert, wir plaudern, abends gucke ich zufrieden meine Füße an, die sehen dann immer so erholt aus für die 18 Euro. Obwohl meine Füße kaum jemand nackt sieht. Aber man macht es doch vor allem für sich. Hat K. auch gesagt.

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Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

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