Die niedliche, sanfte S&M-Welt

MISSION UNACCOMPLISHED „Interior. Leather Bar.“ (Panorama) scheut keine Sexszenen, macht aber aus schwulen Männern trotzdem Opfer

Bleibt lieber auf der sicheren Seite: Der Hollywood- Schauspieler, James Franco

VON ENRICO IPPOLITO

Al Pacino in der Lederbar. Um ihn herum halbnackte Männer in Jockstraps, die den Blick auf blanke Ärsche freigeben. In William Friedkins Film „Cruising“ (1980) spielte Pacino einen Polizisten, der undercover in die Sadomaso-Szene eintaucht, um Morde an schwulen Männern aufzuklären. Doch für die Veröffentlichung des Films musste der Regisseur vierzig Minuten herausschneiden, um ein X-Rating zu umgehen. Sonst hätte er nur in Pornokinos gezeigt werden dürfen. Um diese vierzig Minuten entstand ein Hype. Sie sollen schwulen Sex zeigen, was sie aber genau beinhalten, weiß niemand so richtig. Das ist der Ausgangspunkt von „Interior. Leather Bar.“ von James Franco und Travis Mathews.

Die beiden Regisseure stellen genau diese vierzig Minuten nach, sie inszenieren sie in einer Mischung aus Dokumenation und Drama neu. Zu Beginn redet Franco im Hotelzimmer mit Mathews über das Buch „The Trouble With Normal“, einen Klassiker der Queer Theory, und über dessen Kritik an der Homo-Ehe. Franco zitiert den Autor Michael Warner dahin gehend, dass die Einführung der Homo-Ehe einen wertvollen „queeren Lifestyle“ normalisiere. Die Szene soll den intellektuellen Diskurs öffnen, steht aber im luftleeren Raum, hat mit den darauffolgenden Szenen nichts zu tun. Franco und Mathews sind auf einer Mission, die keiner so recht versteht. „Cruising“ erntete damals viel Kritik, weil er homophobe Klischees bediene, indem er eine dunkle „andere Welt“ zeige. Mit der Prämisse, dass die Opfer – in diesem Falle die schwulen Männer – etwas Besseres verdient haben, gehen die beiden Regisseure jetzt an ihr Projekt.

Francos Freund, der Schauspieler Val Lauren, spielt die Pacino-Figur. Er taucht in eine nachkonstruierte S&M-Welt ein, ist ähnlich wie Pacino von nackten Männern umgeben. Lauren muss sich von seinen heterosexuellen Werten regelrecht befreien. In jeder Szene steht ihm die Angst ins Gesicht geschrieben. Zwischen zwei Hardcore-Szenen, in denen zwei Männer Sex haben, spricht er voller Sorge mit seiner Frau am Telefon.

Damit verbauen sich Franco und Mathews ihr Dokudrama. Sie fügen dem queeren Filmdiskurs nichts Neues hinzu, verstecken sich stattdessen hinter Repräsentationsdebatten. Schwuler Sex ist „attraktiv und wunderschön“, sagt Franco zu seinem Kumpel. Und so wird auch die Szene gedreht: zahm und sanft, sie überschreitet keine Grenze, obwohl Franco sich genau das so sehr wünscht.

Paradoxerweise bleibt „Cruising“, das Original, auch ohne die expliziten Sexszenen moderner als „Interior. Leather Bar“. Die S&M- und generell die Fetischszene brauchen nicht verniedlicht zu werden. Sexuelle Vorlieben, Orientierungen und Haltungen muss man nicht entschuldigen. Mit einer derart defensiven Haltung erfüllen die Regisseure ihre Mission nicht.

Das ist schade, denn vor allem Travis Mathews bewies mit seinem Film „I Want Your Love“ (2012), wie Geschichten nicht aus einer Verteidigungshaltung heraus erzählt werden können und wie Sexszenen als Stilmittel eingesetzt werden können. Er leistete einen eigenständigen Beitrag zum queeren Filmdiskurs. In „Interior. Leather Bar.“ bleiben die Regisseure dagegen wortkarg. Franco, der Hollywood-Schauspieler, will zwar die Zuschauer von ihren Vorurteilen befreien, ist dabei aber viel zu zurückhaltend und bleibt aber auf der sicheren Seite. Das fühlt sich falsch an.

■ Heute, CinemaxX, 21.30 Uhr; 17. 2., Cubix, 17 Uhr