Ägyptens Grenzsicherung: Die Mauer unter der Erde

18 Meter tiefe Stahlplatten: Wie Ägypten versucht, in Rafah den Schmuggel zu unterbinden. Und wie Armee, Polizei und Sicherheitsdienste kräftig mitverdienen.

Palästinenser stehen auf einem Stück zerstörter Stahlmauer der Ägypter. Bild: reuters

RAFAH taz | Langsam quält sich der Sattelschlepper durch die engen Straßen. Sein Ziel ist eine Baustelle im ägyptischen Teil der Grenzstadt Rafah. Es ist ein ziviler Lkw, beladen mit Stahlträgern. In der Windschutzscheibe allerdings hängt ein Schild, das besagt, er sei in einer militärischen Mission unterwegs. Der Lkw fährt bis zur Demarkationslinie, die Ägypten vom palästinensischen Gazastreifen trennt. Dort öffnen Grenzsoldaten die letzte ägyptische Schranke.

Aus der Ferne lässt sich die Stelle ausmachen, an der die Last zum Einsatz kommt. Die Stahlträger werden einer nach dem anderen in den sandigen Boden getrieben. Keine hundert Meter weiter stehen die ersten Häuser des palästinensischen Teils von Rafah. Als "Dschidar al-Dschedid", als neue Grenzmauer, bezeichnen die Menschen in Rafah diese neue Grenzbefestigung. Doch von der sogenannten Mauer ragen nur die Spitzen aus dem Sand. Der Rest der 18 Meter hohen oder, besser gesagt, tiefen Stahlwand befindet sich unter der Oberfläche, denn das neue Bauwerk soll den unterirdischen Schmuggel unterbinden.

Rafah selbst gleicht einer Garnisonsstadt, in der ägyptische Sicherheitsapparate aller Art mitmischen. 36 Straßensperren säumen die Wege der Stadt. Auf der Hauptstraße, die die Grenze entlang bis hinunter ans Meer führt, wird man alle 200 Meter von einem anderen Dienst angehalten. Polizei, allgemeiner Geheimdienst, Militärgeheimdienst, Grenztruppen: Sie alle unterhalten eigene Straßensperren.

Die Stadt: Rafah liegt am Südrand des Gazastreifens und im Norden des Sinai. Die Stadt ist geteilt in einen größeren palästinensischen und einen kleineren ägyptischen Teil. Die Demarkationslinie verläuft mitten durch die Stadt.

Die Bevölkerung: Die Machtverhältnisse im ägyptischen Teil der Stadt und im Nordsinai sind durch den Schmuggel noch fragiler geworden als zuvor. Die Beduinen stellen rund 70 Prozent der Bevölkerung. Ihr Verhältnis zur ägyptischen Regierung ist äußerst gespannt. Die verschiedenen Beduinenstämme sehen sich als die eigentlichen Herrscher über den Sinai und greifen ihrerseits durchaus auch mit Waffen mal eine Polizeistation an. Die Regierung reagiert auf die Spannungen mit regelmäßigen Verhaftungswellen.

Veränderte Machtverhältnisse: Der Schmuggel hat vieles verändert. "Heute herrschen hier weder die Regierung noch die Stämme, sondern es herrscht das aus dem Schmuggel gewonnene Geld", erklärt Chaled al-Sawarky, Führer des mächtigen Sawarky-Stammes. Die Schmugglerbanden trügen in den Städten inzwischen offen ihre Waffen und führen in ihren Fahrzeugen ohne Nummernschild herum.

Und so mancher Schmuggler glaube, ihm gehöre die Welt, wenn er gleichzeitig auch noch als Informant für einen der Geheimdienste arbeitet und Immunität genießt. "Die ägyptische Regierung schürt absichtlich das Chaos, um den traditionellen Einfluss der Stämme zu brechen und ein System neuer Loyalitäten aufzubauen", so Sawarky.

Not macht erfinderisch

Das nimmt mitunter bizarre Formen an. Ein Hauptmann des allgemeinen Geheimdienstes ist hilfsbereit und begleitet uns an das Salah-Eddin-Tor direkt an der Grenze oder zumindest bis fast dorthin. Denn an der letzten Schranke entspannt sich eine groteske Konversation zwischen dem Hauptmann des Geheimdienstes und einem einfachen Grenzsoldaten.

Nachdem sich der Geheimdienstmann dem Rekruten vorgestellt und sein Anliegen - "mit den Gästen zu passieren" - vorgebracht hat, ruft der Soldat etwas zu einem benachbarten Haus, in dem offensichtlich ein Offizier der Grenztruppen seinen Tee trinkt. Nach ein paar Minuten und einigen Funkverbindungen die Befehlskette rauf und runter schüttet der Rekrut den Kopf, und der Hauptmann des Geheimdienstes zuckt mit den Schultern. Jeder Dienst wacht eifersüchtig über seine Schranken.

Die neue Mauer beziehungsweise unterirdische Stahlwand wird in Rafah nicht begrüßt. "Die Mauer schadet den belagerten Palästinensern, und sie schadet uns. Es gibt außer Schmuggel keine Arbeit. Die Alternative ist betteln zu gehen", sagt Ahmad Galal, Betreiber eines Tante-Emma-Ladens. "Rafah ist wie eine Stadt hinter einer verschlossenen Tür", meint auch Mustafa Singer.

Der Journalist der unabhängigen ägyptischen Tageszeitung al-Schourouk aus dem Nordsinai spricht von einer Zweiklassengesellschaft: Die einen arbeiten mit den Schmugglern zusammen und finden ihr Auskommen, die anderen bleiben auf der Strecke. "Das Leben in Rafah ist die Hölle. Das Problem ist, dass die Regierung in Kairo den ganzen Nordsinai völlig den Sicherheitsdiensten überlässt", sagt Singer. Es gebe hier keinerlei Entwicklung.

Seit Israel vor mehr als zweieinhalb Jahren eine Wirtschaftsblockade über den Gazastreifen verhängte und auch Ägypten seine südliche Grenze dichtgemacht hat, verläuft ein Großteil der Versorgung der 1,5 Millionen Palästinenser in Gaza durch unterirdische Tunnel. Hierdurch werden Güter des täglichen Bedarfs, aber auch Waffen für die in Gaza regierende palästinensische Hamas transportiert.

Monatelang hatte sich die Regierung in Kairo über den Bau der Mauer ausgeschwiegen. Auch weil es wohl peinlich war, dass die Opposition bei ersten Spekulationen über entsprechende Baupläne der Regierung vorwarf, sich "an der Belagerung und dem Aushungern der palästinensischen Brüder in Gaza zu beteiligen".

Nachdem auch die israelische Presse über das Bauwerk berichtet hatte, ging vergangenen Monat der ägyptische Präsident Hosni Mubarak in die Offensive und bezeichnete den Bau als einen Akt der Verteidigung ägyptischer Souveränität. Wie souverän die ägyptische Grenzüberwachung allerdings tatsächlich ist, bleibt jedoch fraglich.

In der US-Botschaft in Kairo streitet man ab, an dem Bau der Mauer direkt beteiligt zu sein, gibt aber zu, dass amerikanische Armeeingenieure die technischen Überwachungsanlagen und die Sensoren neben der Mauer installiert haben, die jede Bewegung unter der Erde entdecken sollen. Unklar bleibt, wer die Überwachung genau überwacht und von wo die israelische Luftwaffe ihre Zielkoordinaten erhält, wenn sie regelmäßig die Tunnel auf palästinensischer Seite bombardiert.

Laut dem Journalisten Mustafa Singer ist bereits die Hälfte der Mauer fertiggestellt. Aber Singer bezweifelt deren Wirksamkeit. "Not macht erfinderisch. Ein Teil der Mauer ist bereits untertunnelt", behauptet er. Als Beweis führt er an, dass die israelische Luftwaffe vor wenigen Tagen einige Tunnel bombardiert habe - direkt neben der neuen Mauer. "Wenn die Mauer funktionieren würde, müssten sie nicht bombardieren", lautet seine einfache Logik.

"Die Ingenieure der Hamas haben sich bereits ein Stück von dem verwendeten Stahl besorgt, um zu untersuchen, mit welcher Methode er sich durchdringen lässt", berichtet auch ein ägyptischer Sicherheitsbeamter augenzwinkernd. "Die ägyptische Regierung erfüllt mit der Mauer nur die Wünsche der Israelis, Amerikaner und der Europäer. Doch einige der ägyptischen Sicherheitsleute haben mir gegenüber zugegeben, dass diese Maßnahmen nichts nützen, weder über noch unter der Erde", sagt Singer.

Schmuggel lohnt sich

"Die beste Maßnahme gegen den illegalen Schmuggel wäre, den offiziellen Grenzübergang auch für Waren zu öffnen", lautet ein immer wieder zu hörendes Argument im Norden des Sinai, der traditionell immer von engen Handelsbeziehungen zu Gaza gelebt hat. So ist heute, mangels Alternative, der Schmuggel nach Gaza der wichtigste Wirtschaftszweig. Und er lohnt sich bis heute.

"Die Schmuggler fuhren einst mit Eselskarren durch die Stadt, heute flanieren sie mit den neusten Automodellen", berichtet der Ladenbesitzer Ahmad. Überall in der Stadt stellen sie ihren neu erworbenen Reichtum mit neu gebauten Villen zur Schau. Sie haben viele Angestellte - von den Beduinen, die die Güter auf verschlungenen Wegen zu den Tunnel transportieren, bis hin zu den Kindern Rafahs, die für ein paar Münzen mit ihren Handys Schmiere stehen. Es ist auch ein offenes Geheimnis, dass die verschiedenen ägyptischen Sicherheitsapparate mitverdienen. "Sie kassieren alle mit ab, besonders die verschiedenen Flügel des Geheimdienstes und die Polizei", beschreibt ein Einwohner Rafahs die Lage. Er will seinen Namen lieber nicht nennen.

In Rafah haben inzwischen viele Einwohner kapituliert. Nirgends ist das deutlicher zu sehen als in der Saladinstraße, die direkt zum Grenzstreifen führt und mit einer Wand endet. Fast alle Läden im ägyptischen Teil der Stadt des einstigen Handelszentrums der Stadt sind geschlossen. Die meisten Bewohner sind weggezogen.

Nur Sayyed Awad kommt die einsame Straße entlang. Er wohnt im letzten Haus auf der ägyptischen Seite. Seine Familie hat er bereits nach Kairo geschickt. "Das hier ist kein Leben", sagt er. "Wenn mich meine eigene Mutter besuchen möchte, braucht sie eine Genehmigung, und wann immer ich zur letzten Sperre komme, werde ich durchsucht ", veranschaulicht er das Problem.

"Die Augen des Militärs sind wachsam", heißt es auf dem Schild an der letzten Häuserecke, an der Sayyed vorbeimuss. Daneben fläzt ein angeketteter kräftiger Schäferhund - ein Geschenk der deutschen Bundesregierung an Ägypten und Teil der internationalen Gaza-Antischmuggel-Initiative, an der Deutschland beteiligt ist. "Daran werde ich mich wohl nie gewöhnen", sagt Sayyed und nähert sich vorsichtig der Ecke.

Kaum ist er dort angekommen, schlägt der Schäferhund an, fletscht die Zähne, fängt wild an zu bellen, springt hoch und zerrt mit all seinen Muskeln an der Kette. So als wolle der Hund den Grenzbewohner auf dem Nachhauseweg in Stücke reißen. Sayyed macht einen Bogen und beschleunigt seinen Schritt. Es sind nur noch wenige Meter bis zum letzten Haus vor dem Gazastreifen. Wenn er am Nachmittag wieder einkaufen geht, muss er erneut am deutschen Grenzsicherungsgeschenk vorbei.

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