Gastkommentar von Carsten Werner zum „Nebel der bremischen Kulturpolitik“
: Gespenstische Stille: Die Solidarität ist flöten gegangen, obwohl es alle „gut meinen“

Während Kultur auf „überregionale Wirksamkeit“ getrimmt wird, stolpert Bremen medienwirksam von Pisa-Schock zu Pisa-Schreck. Gleichzeitig sorgt europaweit für Aufmerksamkeit, dass den Angestellten des Staatstheaters das Weihnachtsgeld abgepresst wird (was dem Finanzsenator für den ganzen öffentlichen Dienst misslang). Die Währung, mit der Bremen sich gestaltet, ist „nicht kassenwirksam“: wertloser Kanzlerbrief, nicht vorhandenes Weihnachtsgeld, „Medieneffekte“.

Jetzt fallen der Stadt die vielen schön gerechneten „Effekte“ auf die Füße. Jetzt zeigt sich, wie biegsam und nichts sagend Auslastungszahlen, wirtschaftliche Effekte und spacige Trends sind (das gilt auch für die Kultur!). Das Eigenkapital der HVG: um Millionen aufgestockt und sogleich verbraten, ganz real. Projektmittel für einige Kulturhauptstadt-Folgeprojekte – von Vergabeausschuss und Deputation beschlossen und verkündet, vom Kulturressort nicht vergeben, sondern in Haushaltslöcher gepumpt. Das Theater wird gedemütigt, weil Kultur so schön quietscht, wenn das Verfassungsgericht hören soll, wie hart man spart. Dass so auch Klaus Pierwoß abgestraft wird, der einer heruntergewirtschafteten Bühne künstlerischen Anspruch und Bremen als Kulturstadt Selbstbewusstsein gegeben hat, ist ein schöner Nebeneffekt für Kulturfeinde.

Jetzt soll die dramatisch inszenierte Theaterkrise zu Ende sein. Nach der Demontage der großen Symbole also die Schlachtung der kleinen: Man könnte das Concordia opfern. Hier haben Theaterkünstler geschützt erste Arbeiten realisiert – das ist nicht nur güldene, schmückende Historie (Fassbinder! Kresnik!), das wirkt noch: Das Junge Theater Bremen, „Tanz Bremen“, das steptext dance project, viele Folgeprojekte und längst abgewanderte Künstler gäbe es nicht, wenn die Intendanten hier nicht von Quotendruck und „Effekten“ freie Berufseinstiege ermöglicht hätten – eine Brutstätte mit künstlerisch und kulturwirtschaftlich nachhaltiger Wirksamkeit.

Man muss diskutieren, wo und wie solche Impulsleistungen heute stattfinden müssen. Wie stellt sich Bremen zum boomenden Zukunftsmarkt der „cultural industries“? Eine konstruktive Aufgabe für Kultur, Bildung, Arbeit, Wirtschaft wäre das, aber die Ressorts agieren völlig entkoppelt: Sie „gehören“ widerstrebenden Parteien, ein Kollateralschaden der großen Koalition.

Senator Jörg Kastendiek hat groß eine „Stadtwerkstatt“ angekündigt. Stattdessen wird aufgeregt eine lieblose Beschäftigungsmaßnahme debattiert: Am „Masterplan Kultur“ wurde von allen Seiten mitgenäht und gefummelt. Jetzt weiß keiner, wer der Schneider ist, wer das Ding tragen und wen dieser x-te Prototyp eigentlich becircen soll. Kulturentwicklung findet in aller Öffentlichkeit statt: Auf den Bühnen und in Büchern, in den Medien, Galerien und Stadtteilen, im Internet, im künstlerischen Tun und im politischen Tagesgeschäft – nicht im Konsens auf Papier.

Zur Lösung der Theaterkrise hat Jörg Kastendiek dekretiert: „Auch hierfür sind Maßnahmen und Zugeständnisse tendenzieller Art zu vereinbaren, ohne dass diese zu konkreten Verpflichtungen führen können.“ So steht es auf den Internetseiten des Senats. So rettet man ein Land vor dem Ruin? Konzentrieren wir uns auf die Kunst.