„Liebling, ich bin noch in der Kirche“

SUCHT II Mund halten und weiterzocken: ein neugieriger Blick hinter die Casinotüren von Berlin

Erste Station: ein Automatencasino an der Sonnenallee. Mittagszeit. Ein Mann in Bauarbeitermontur kommt reingestampft und plumpst so selbstverständlich in den Stuhl vor einem der Geräte, als wäre es sein Fernsehsessel. Der Unterschied: Statt einer Fernbedienung benutzt er einen 10-Euro-Schein, um die Flimmerkiste anzuschmeißen.

Was genau der Mann da spielt, will er nicht sagen. Er will überhaupt nichts sagen. Nur zocken. Redselig ist hier auch sonst niemand: Auf 20 klirrende Geräte verteilen sich vier emotionslos starrende Menschen, drei Männer und eine Frau, alle mittleren Alters. Ob sie gerade gewinnen oder verlieren – an ihrem Gesichtsausdruck lässt sich das nicht ablesen. Die Games heißen „Mystic Secrets“, „Dolphin’s Pearl“, „Amazon Treasures“, „King of the Ocean“. Man kann zwischen 20 dieser nach Kinderspielen klingenden Programme wählen. Immer rotieren irgendwelche Zahlenreihen. Die Klassiker wie Poker oder Roulette spielt keiner.

Zweite Station: ein kleiner Laden am Kottbusser Damm. Auf den ersten Blick eher ein Backshop. An der Seite steht eine lange Brottheke, aber dann sind da noch drei Spielautomaten und einige unruhige Männer an Tischen. Ah, da liegt ja noch etwas in der Theke. „Ich hätte gerne dieses Dinkelbrot.“ „Geht nicht“, sagt der Bäcker, dem jeglicher „Darf’s sonst noch was sein?“-Habitus abgeht. „Geht nicht, ist Plaste. Guck.“ Er klopft auf der Attrappe rum. Vor der „Bäckerei“ stehen zwei fette BMWs, umringt von rauchenden Männern. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man meinen, dass hier mit rollenden Würfeln Geld verdient wird und nicht mit Rosinenbrötchen.

Bis zur nächsten Spielhalle ist es nur einen Frisör und einen Dönerladen weiter. Kreuzberg ist voll davon. Selbst wenn die Hälfte davon dichtmachte, es gäbe immer noch genug Anlaufstellen zum Geldverbrennen.

Dritte Station: Spielothek in Mitte. Einer pokert dann doch. Passt auch eher zu ihm: gut angezogen, teure Uhr, das iPhone vor sich platziert. Der Mann hat Geld, der hat was zu verlieren. Das Handy klingelt: „Hallo Liebling, ich bin noch in der Kirche.“ Er legt auf. Zwei andere Zocker blicken kurz auf, schauen ihn verwirrt an. Dann zucken sie mit den Schultern und widmen sich wieder den rotierenden Limonen auf ihren Bildschirmen.

DMITRIJ KAPITELMAN