Justiz: Ein Tod bleibt ungesühnt

Das Landgericht glaubt, dass der Werftarbeiter Bekir C. einen Sozialarbeiter erschoss. Doch eine Anklage würde laut Bundesgerichtshof gegen das Grundgesetz verstoßen

Ein Bündel alter Akten - aber keine Chance, Akbabas Tod zu sühnen Bild: Archiv

Abdulkadir Akbaba starb an einem Schuss in die Schläfe. Der fiel, als der türkische Sozialarbeiter einen Streit der türkischen Eheleute Bekir und Sulta C. in deren Gröpelinger Wohnung schlichten wollte. Doch der Tod des 44-Jährigen wird ohne Folgen für den Täter bleiben. Am 9. Dezember, mehr als sieben Jahre, nachdem Akbaba starb, stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein.

Die Justiz hat sich verzettelt. Zuerst hatte es sechs Jahre gedauert, bis die Schießerei an jenem Pfingstmontag des Jahres 2002 überhaupt zur Anklage gebracht wurde. Bekir C. wurde vorgeworfen, seiner Frau in den Hinterkopf geschossen zu haben. Seine Frau, die dies überlebte, sollte sich gleichzeitig für die Tod Akbabas verantworten; sie beteuerte ihre Unschuld. Die Staatsanwaltschaft aber glaubte ihrem Mann, der sie belastete.

Im Laufe des Prozesses wendete sich das Blatt. Den Schuss auf Sulta C. rechnete das Gericht ihrem Mann Bekir zu - und verurteilte ihn deshalb im Februar 2009 zu fünf Jahren Haft wegen versuchten Totschlags.

Doch nach Ende der Beweisaufnahme glaubte das Gericht auch, dass nicht Sulta, sondern Bekir C. auf den Sozialarbeiter Akbaba geschossen hatte. Also sollte der Tod Akbabas, der eine heute zehnjährige Tochter hinterließ, in einem neuen Verfahren verhandelt werden. Die Staatsanwaltschaft leitete ein neues Ermittlungsverfahren gegen Bekir C. ein. In diesem Jahr sollte er erneut angeklagt werden.

Daraus wird nun nichts mehr. In einer Art Rechtsgutachten vom Oktober äußerte der Bundesgerichtshof (BGH) die Auffassung, dass Bekir C. nicht wieder vor Gericht gestellt werden darf. Die Schüsse auf seine Frau und auf Akbaba seien "in Tateinheit" erfolgt. Deshalb würde ein neues Verfahren gegen das grundgesetzliche Verbot verstoßen, eine Tat mehrfach zu verfolgen. "Strafklageverbrauch" nennen Juristen dies.

"Das ist schon schwer nachzuvollziehen," sagt der Anwalt von Akbabas Tochter, Albert Timmer. Die Situation sei "ziemlich absurd: Obwohl ein Gericht festgestellt hat, das Bekir C. Akbaba wohl erschossen hat, kann er deswegen nicht angeklagt werden." Allerdings habe der BGH in der Sache wahrscheinlich Recht: "Die Schüsse auf Sulta C. und Abdulkadir A. sind schon als ein einheitlicher Handlungstrang zu sehen, da gab es wohl keinen Bruch," sagt Timmer.

Also eine Justizpanne beim Landgericht? So will Timmer es nicht verstanden wissen. Das Gericht sei in "einer Zwickmühle" gewesen. Hätte es das Verfahren abgebrochen und eine neue Anklage gegen Bekir C. abgewartet, hätte dieser aus der U-Haft entlassen werden müssen - und wäre vermutlich untergetaucht. "Darüber hat sich die Kammer Gedanken gemacht und wohl deshalb das Urteil wegen des Schusses auf die Frau gefällt", sagt Timmer. Er hat "vorsichtshalber" gegen die Einstellung des Ermittlungsverfahrens Beschwerde eingelegt, sieht aber nach der Äußerung des BGH kaum noch Chancen auf ein neues Urteil.

Bekir C. sitzt derweil in der JVA Bremen-Oslebshausen. Den Umstand, dass zwischen der Tat und der Anklageerhebung im November 2008 über sechs Jahre vergingen, hatte der Richter eine "rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung" genannt. Bekir C. wurde dafür ein Jahr von seiner Strafe erlassen. Nach Verbüßung von zwei Dritteln der Reststrafe, also im Sommer 2011, könnte er freikommen.

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