Kampfsport: Kämpfen im Dunkeln

In Hamburg-Eimsbüttel treffen sich jede Woche blinde und sehgeschädigte Judokas. Manche von ihnen sind Anfänger, manche stehen kurz vor dem schwarzen Gürtel. Ein guter Kämpfer, sagen sie, sieht nicht, was der Gegner macht. Er fühlt es.

Fühlen, was der Gegner macht: Sehbehinderte Judoka trainieren beim Eimsbüttler Turnverband in Hamburg. Bild: Miguel Ferraz

"Mocuso", sagt Sigrid Happ in die Runde und plötzlich wird es fast ganz still. Man hört nur etwas leise Musik aus einem Nebenraum. Um Happ herum knien 13 Jungen und Mädchen, Männer und Frauen auf roten Weichbodenmatten im Kreis. Kurz zuvor unterhielten sie sich aufgeregt über ihre Erlebnisse zwischen Weihnachten und Neujahr. Nun sind sie hochkonzentriert und warten auf das nächste Kommando. "Rej", sagt Happ, die Gruppe beugt sich in Richtung Boden vor. "Angrüßen" nennt man diese Zeremonie beim Judo.

Durch die drei Fenster der Übungshalle des Eimsbütteler Turnverbands (ETV) in Hamburg fällt kein Licht. Es ist Abend und die Sonne ist bereits untergegangen. Neonröhren von der Decke machen den Raum taghell. So wirklich nötig wäre dies aber nicht. Abgesehen von der Trainerin Happ sind alle Teilnehmer blind oder stark sehgeschädigt. Einige von ihnen bereiten sich auf die Internationalen Deutschen Einzelmeisterschaften im Judo für Sehgeschädigte vor, am 30. Januar in Heidelberg ist es soweit.

Der Kurs für sehgeschädigte Judokämpfer wurde in den 1980er Jahren am Bildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte in Winterhude eingeführt. 1994 übernahm Sigrid Happ den Kurs und verlagerte ihn in die Räume des ETV. "Anfangs war ich noch sehr unsicher beim Fallen", erzählt Barbara Schmidt. Sie gehört zu den ersten, die den Hamburger Kurs besucht haben, und ist seit 20 Jahren dabei. Damals ging sie vor dem Fallen zunächst in die Hocke. Heute lässt sie sich ohne Probleme werfen und zeigt beim Randori - dem Übungskampf im Judo - keinerlei Ängste.

Zum Aufwärmen muss die Gruppe von einer Wand zur gegenüberliegenden laufen. Mal vorwärts, mal rückwärts, mal auf einem Bein hüpfend. Die Wände sind gepolstert. An der Akustik erkennen die Blinden, wo die Wände sind. Gerade Anfänger haben damit aber noch ihre Probleme. Wer unsicher bei der räumlichen Orientierung ist, der erhält Unterstützung von Sigrid Happ oder ihrem Co-Trainer Marcel Rieseler.

Rieseler kann mit Brille, die er beim Randori abnehmen muss, nur noch zehn Prozent sehen. Wenn man ihm bei den Übungen zuschaut, mag man es fast nicht glauben. Gezielt gibt er Hilfestellung, weicht aus und bewegt sich wie selbstverständlich durch den Raum. "Ich bin so auf Sport konzentriert, da kommen die Bewegungen von ganz alleine", sagt er.

Nach einer halben Stunde ist die Gesichtsfarbe bei den meisten rötlich, der Schweiß rinnt. Als nächstes stehen Fallübungen auf dem Programm. Die Gruppe stellt sich im Kreis auf und fällt wie Dominosteine im Uhrzeigersinn um. Barbara Schmidt beugt sich leicht zur rechten Seite und hört, wann ihr Falleinsatz dran ist. Routiniert rollt sie sich nach hinten und fängt den Aufprall durch lautes Schlagen auf den Boden ab.

"Im Prinzip unterscheiden sich die Übungen, die ich mit den Sehgeschädigten mache, kaum vom Training mit Sehenden", sagt Trainerin Happ. "Nur die Sprache ist beschreibender. Ich muss die Bewegung genauer erklären."

In Partnerübungen stellen sich die Sehgeschädigten aufeinander ein, fegen sich gegenseitig die Füße weg. "Es geht viel um Wahrnehmung und Sensibilisierung", sagt Happ. Andre Juhls, der erst seit knapp drei Monaten dabei ist, setzt sich an den Rand und macht eine kurze Pause. "Ich mag nicht geworfen werden", sagt er.

So wie ihm geht es anfangs vielen Sehbehinderten. An der Gürtelfarbe kann man die Bewegungssicherheit der Judoka ablesen. Der von Juhls ist weiß und damit der erste Schülergürtel. Barbara Schmidt trägt einen blauen Gurt und Marcel Rieseler gar den Braunen, der letzte Gürtel vor den schwarzen Meistergürteln.

Im letzten Drittel des Trainings darf endlich richtig gekämpft werden. Rieseler und Schmidt zerren an ihren Anzügen und setzen Fußfeger an. "Ein guter Judoka macht die Bewegungen durch sein Gefühl", sagt Rieseler. "Wenn einer den Wurf kommen sieht, ist es eigentlich schon vorbei." Ein sehender Judoka sei deshalb auch nicht im Vorteil, sagt Happ.

Zum Abschluss des Trainings sitzt die Gruppe wieder im Kreis zusammen. Die Knie am Boden, der Oberkörper aufrecht. "Mocuso", sagt Happ. "Rej." Dann eine kurze Verbeugung. Und Schluss für heute.

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