Länderkunde Haiti: Das Katastrophenland

Erdbeben, Wirbelstürme, Überschwemmungen, Schlammlawinen. Dazu Armut, Unruhen und eine schwache Regierung. Der Wirtschaft geht es immer schlechter. Ein Überblick

Kind an der Tür eines Waisenhauses in Port-Au-Prince, Haiti. Bild: Lucas – Lizenz: CC-BY-ND

Es gibt nur einen Vulkan in Haiti, und der ist nicht sonderlich aktiv. Sonst aber leidet das ärmste Land der westlichen Hemisphäre unter fast allen erdenklichen Naturkatastrophen. Politisch und sozial ist Haiti ohnehin eine Katastrophe. Es gilt als gescheiterter Staat, in dem kaum eine Regierung bis ans Ende ihrer Amtszeit durchhält. 80 Prozent der neun Millionen Einwohner leben in Armut, die Hälfte der Bevölkerung sind Analphabeten, die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei 50 Jahren.

Der größte Teil Haitis liegt auf der sogenannten Gonâve-Platte, einer Miniparzelle der Erdkruste, die zwischen der Nordamerikanischen Platte und der Karibischen Platte eingeklemmt ist. Reibungen an den Nahtstellen führen nur alle 100 bis 200 Jahre zu verheerenden Beben. Das von Dienstag gilt als das schwerste der vergangenen 200 Jahre. Was es zu einer Katastrophe noch unübersehbaren Ausmaßes macht, ist die Nähe des Epizentrums zu Port-au-Prince: Es lag nur 15 Kilometer westlich der zwei Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt. Und es war mit einer Tiefe von rund 10 Kilometern verhältnismäßig oberflächlich. Solchen Erschütterungen halten auch solide Gebäude nur schwer Stand, und solide Gebäude gibt es kaum in Port-au-Prince.

Die Stadt liegt in einer weiten Bucht und zieht sich steil den Hang hinauf. Rund um das historische Zentrum mit dem jetzt zusammengestürzten Präsidentenpalast liegen die wenigen Viertel mit traditionellen Gebäuden aus Holz, die ein bisschen an Lebkuchenhäuschen erinnern. Drum herum ziehen sich Slums in die Küstenebene und den Hang hinauf. Im besten Fall sind es kleine, eng zusammenstehende Lehm- oder Backsteinhäuschen mit Wellblechdach, oft aber nur Hütten aus Holz, Pappe und Blech. Wenn eine umfällt, fallen alle um. Ganz oben am Hang, im Vorort Pétionville, wohnen die wenigen Reichen.

Der wirtschaftliche Niedergang wurde in Haiti mehrfach durch Naturkatastrophen verschlimmert: 2004 kamen bei einer Flutkatastrophe im Mai 1.200 und bei Hurrikan "Jeanne" im September mehr als 3.000 Menschen ums Leben. Als es nun von einem Erdbeben heimgesucht wurde, hatte sich Haiti noch nicht von der letzten Katastrophe erholt: 2008 war das schlimmste Hurrikan-Jahr seit Menschengedenken. Mit "Fay", "Gustav", "Hanna" und "Ike" zogen innerhalb weniger Wochen vier Wirbelstürme über das Land.

Sie hinterließen über tausend Tote und vernichteten 70 Prozent der Ernte. Hungerunruhen waren die Folge. Dabei ist es nicht der Sturm selbst, der die meisten Schäden anrichtet, sondern der ihn begleitende Regen. Haiti ist zu 98 Prozent abgeholzt, Holzkohle noch immer der wichtigste Energieträger. Wolkenbrüche auf die nackte Erde lösen immer wieder tödliche Schlammlawinen und Überschwemmungen aus.

Die Regierung ist viel zu schwach für ein solides Krisenmanagement. Nach Jahrzehnten der Diktatur der Duvalier-Familie war 1990 mit dem linken Priester Jean-Bertrand Aristide ein Hoffnungsträger Präsident geworden, doch er wurde zweimal gestürzt und war am Ende nur noch korrupt. Seit 2006 ist mit René Préval ein gemäßigt linker Pragmatiker Präsident. Ohne die Hilfe von 10.000 UNO-Blauhelmen könnte er nicht regieren.

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