Debatte Kundus-Affäre: Schluss mit lustig

Die Kundus-Affäre wäre glatt eine Lachnummer, ginge es nicht um einen Krieg. Politik und Bevölkerung haben sich zu lange in Illusionen gewiegt.

Wenn es bei der Kundus-Affäre nicht um ernste Angelegenheiten ginge - man käme aus dem Lachen gar nicht mehr heraus. Hübsch zu beobachten ist beispielsweise, wie Sprecher der Bundesregierung sich nun konsequent weigern, selbst banalste Auskünfte zur Sache zu erteilen, und diese restriktive Informationspolitik mit feierlichen Hinweisen auf die Arbeit des parlamentarischen Untersuchungsausschusses begründen. Ganz so, als sei ein solcher Ausschuss nicht etwa ein Instrument der Aufklärung, sondern werde vor allem zu dem Zweck eingerichtet, die Öffentlichkeit monatelang im Dunkeln zu lassen - möglichst so lange, bis sie das Interesse verliert.

Wenn diese Praxis Schule macht, dann kann sich eine Regierung eigentlich nichts Besseres wünschen als einen Untersuchungsausschuss. Wie wäre es mit einem weiteren Ausschuss, der die Gegenfinanzierung der Steuergeschenke für Erben und Hoteliers untersucht?

Eine komische Figur gibt derzeit auch der Verteidigungsminister ab, der seinen oppositionellen Kritikern vorhält, sie selbst hätten bereits Anfang November die Gelegenheit gehabt, den Bericht der Internationalen Schutz-und Aufbautruppe (Isaf) über den Bombenangriff auf zwei Tanklastzüge zu lesen. Außerdem habe der Opposition seit dem 3. November der Nato-Bericht in deutscher Übersetzung vorgelegen. Soll heißen: Der Vorwurf, der Minister habe Öffentlichkeit und Parlament getäuscht, ist unsinnig. Alle wussten doch alles, jederzeit.

Das wäre für sich genommen kein schlechtes Argument. Wenn nicht derselbe Minister auf der Grundlage dieser Berichte am 6. November den Angriff als militärisch "angemessen" bezeichnet hätte und Wochen später dann eine Kehrtwende um 180 Grad vornahm. Ohne dass es bis heute irgendeinen Hinweis darauf gäbe, was ihn eigentlich zu seinem Sinneswandel veranlasst hat. Denn die wesentlichen Informationen waren nach allem, was mittlerweile durchgesickert ist, tatsächlich in diesen Berichten enthalten. Damit jedoch erinnert seine Vorwärtsverteidigung des Ministers an den alten Witz, der Topf habe erstens schon ein Loch gehabt, als man ihn entliehen habe, und zweitens bei der Rückgabe noch keines gehabt. Beide Behauptungen sind gute Entschuldigungen. Aber nur jeweils einzeln.

Das macht übrigens auch den Ärger des rüde geschassten Generalinspekteurs verständlich. Es stimmt ja offenbar, dass dem Minister nicht jeder einzelne Aktenvermerk vorgelegt worden war. Eine wertende Vorsortierung von umfangreichem Material ist jedoch im Regelfall kein Entlassungsgrund für hochrangige Mitarbeiter, sondern Teil ihres Aufgabengebiets. Wie hätte Karl-Theodor von und zu Guttenberg wohl reagiert, wenn man ihm Ordner über Ordner auf den Schreibtisch gelegt hätte, verbunden mit der Aufforderung: "Nun lesen Sie mal schön!"?

Schwierige Informationssuche

Wer gerne lacht, mag es auch erheiternd finden, dass sich der Außenminister zur Kundus-Affäre nicht äußern kann, weil es dem Auswärtigen Amt offenbar selbst nach Wochen noch immer nicht gelungen ist, alle im Hause verfügbaren Informationen zusammenzutragen. Da bleibt einem dann allerdings das Lachen schon im Halse stecken.

Und endgültig Schluss mit lustig ist es angesichts der Tatsache, dass das Verteidigungsministerium dem Kanzleramt detaillierte Informationen über den Luftangriff erst mit fünf Tagen Verspätung weitergeleitet hatte. Bei ihrer Regierungserklärung zum Thema am 8. September wusste die Kanzlerin also buchstäblich nicht, wovon sie redete.

Wenn Kabinettsmitglieder und hochrangige Beamte wesentliche Informationen nicht nur vor der Öffentlichkeit geheim halten, sondern auch vor der Regierungschefin, die das aber offenbar nicht einmal merkt, sondern dennoch selbstbewusst zum Rednerpult schreitet: dann wird ein Land nicht mehr regiert, sondern allenfalls verwaltet. Das ist niemals erfreulich. In Kriegszeiten gefährdet es Menschenleben.

In diesen Tagen ist viel davon die Rede, dass die öffentliche Diskussion über die Kundus-Affäre und über die Reichweite des Mandats auf dem Rücken der Bundeswehr ausgetragen werde. Das trifft nicht zu. Vielmehr ist es die unfassbare Leichtfertigkeit im Umgang mit Informationen über einen derart schwer wiegenden Vorgang, der eine Missachtung - auch - der Soldaten bedeutet. Ebenso wie der afghanischen Zivilbevölkerung, der man ja angeblich zu Hilfe eilen wollte. Bis heute hat sich angeblich die genaue Zahl der Opfer des Luftangriffs nicht ermitteln lassen. Aber man weiß doch immerhin offenbar bereits genug, um mit den Angehörigen getöteter Zivilisten über Entschädigungszahlungen zu verhandeln. Derlei Widersprüche fallen im allgemeinen Chaos schon gar nicht mehr auf.

Blauäugige Pazifisten?

Wie konnte es so weit kommen? Und ist es vorstellbar, dass Öffentlichkeit, Opposition und auch Regierungsmitglieder im Zusammenhang mit irgendeinem anderen Thema so lange lammfromm offenkundige Ungereimtheiten hingenommen hätten, ohne wenigstens mal nachzufragen? Nein. Das ist nicht vorstellbar.

Im Zusammenhang mit Krieg - oder, um einen lange Zeit sehr viel beliebteren Ausdruck zu wählen, mit: "humanitären Militäreinsätzen" - haben Regierende und Regierte sich lange sehr gerne beschwichtigen lassen. Jeder Einsatz außerhalb des Nato-Gebiets, an dem die Bundeswehr bisher beteiligt war, wurde von einer überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung gutgeheißen. Kritiker und Gegner galten als ideologisch verblendet, bestenfalls als blauäugige Pazifisten.

Es war ein sozialdemokratischer Bundeskanzler, der die Zustimmung zum Afghanistan-Einsatz mit der Vertrauensfrage verband. Und es war ein sozialdemokratischer Kanzler, der zufrieden von der "Enttabuisierung des Militärischen" sprach. Jede Grundsatzdebatte über Krieg bedeutet deshalb auch, dass sehr viele Leute ihre Positionen von einst überprüfen müssten. Derlei ist nie angenehm. Deshalb wird eine solche Debatte gerne vermieden. Die Folgen lassen sich nun besichtigen. BETTINA GAUS

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Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

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