Kolumne Männer: Sin City

Wo gibt es heutzutage positive männliche Rollenvorbilder? Nicht in thailändischen Touristenorten.

Ich wusste, jetzt wird es erst schlechter, bevor es wieder besser wird. Ein Taxi entließ mich vor einer Woche in die abendliche Schwüle von Patong auf der thailändischen Insel Phuket. Manche Leser mögen wissen, dass Patong, freundlich formuliert, ein Urlaubsort für erlebnisorientierte Pauschaltouristen ist. Weniger freundlich ausgedrückt, ist es der wohl größte Puff der Welt, wo sich fette sonnenverbrannte weiße Männer Sex mit südostasiatischen Damen erkaufen. Dies also merkte ich, als ich auf meiner Reise dort versehentlich Station machte. Kein guter Ort, um über positive männliche Rollenverständnisse zu sinnieren.

Das ist ja eh schwer. Massenmedien und Pädagogen haben sich über Jahrzehnte einen Wettstreit geliefert, wer deutlicher macht, dass Männer emotional gehemmte und gewaltliebende Trottel sind und für die komplizierte Welt von heute partout nicht gemacht. Darin mag ein Gutteil Wut über tausende Jahre Patriarchat mitschwingen, das verstehe ich ja. Nur trägt es nicht gerade zur gesellschaftlichen Entspannung bei, wenn jeder Zweite bloß auf Bewährung draußen ist. Kurzum: Negative Rollenvorbilder wie Homer Simpson oder Boris Becker, den ersten Sextouristen im eigenen Land, kennt jeder zuhauf. Aber positive?

Die männlichen Thais sind einem da keine große Hilfe. Es sei denn, man findet es erstrebenswert, im Touristenrestaurant "Charlie's" allwöchentlich als Elvis-Imitator im weißen Lederimitat-Dress irritierten bis eingeschüchterten Gästen "In the Ghetto" ins Bierglas zu singen.

Das Problem scheint doch Folgendes zu sein: Eigenschaften, die früher als zugleich "maskulin" und positiv bezeichnet wurden, werden heutzutage von beiden Geschlechtern vereinnahmt. Ehrgeiz beispielsweise, auch Zielstrebigkeit und Organisationstalent. Den Männern geblieben ist der Rest, den niemand haben wollte: Aggressivität, Gefühlsarmut und Sturheit. Und fehlendes Augenmaß, möchte ich hinzufügen. In einem Restaurant sah ich einen etwa 30 Jahre alten Schweden, der mit einer Frau aß. Wie die Bezeichnung "Mama" nahe legte, handelte es sich dabei um seine Mutter. Als der Sohn auf die Toilette ging, sah ich auf seinem T-Shirt die Aufschrift "Harley Davidson - Knights of the Highway". Manchmal bewundere ich andere Männer für ihre Fähigkeit, sich der Realität zum Trotz rundum wohlzufühlen in ihrer Haut. Manchmal auch nicht.

Allenthalben male ich mir aus, dass die sogenannten Tiger-Staaten Südostasiens einmal so mächtig werden, wie es Europa bis vor siebzig Jahren war. Dann könnten die Thais auf die Idee kommen, die fröhliche Niedertracht, die sie von unseren Pauschaltouristen gelernt haben, bei uns zu praktizieren. Stelle sich das einer vor: Horden betrunkener Thai-Männer mit Weihnachtsmannmützen, die im Schutz der Gruppe gönnerhaft Frauen an der Ostseeküste in Darß-Zingst Geldscheine zustecken. Und dabei tragen sie T-Shirts mit dem Aufdruck "I fuck on the first date".

Ich fuhr weiter ins gesittetere Städtchen Kata und fand dort Ruhe am Strand. Neben mir ließen sich zwei Paare um die Sechzig nieder. Gäbe es nicht vertrauenswürdige Quellen, die besagen, der schwedische Regisseur sei tot, hätte ich schwören können, einer der beiden Herren war Ingmar Bergman. Groß gewachsen, weißer Vollbart,der schlanke Körper in Ehren gealtert. Mal mit seinen Freunden schwatzend, mal schmökernd, räkelte er sich in seinem Liegestuhl. Ein Sinnbild lebenskluger Gelassenheit. Als sie aufbrachen, zog er sich ein T-Shirt an. Darauf stand: "Harley Davidson - Knights of the Highway".

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Schriftsteller, Buchautor & Journalist. Von 2005 bis 2014 war er Politik-Redakteur und Kolumnist der taz. Sein autobiographisches Sachbuch "Das Erbe der Kriegsenkel" wurde zum Bestseller. Auch der Nachfolger "Das Opfer ist der neue Held" behandelt die Folgen unverstandener Traumata. Lohres Romandebüt "Der kühnste Plan seit Menschengedenken" wird von der Kritik gefeiert.

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