Kolumne Kopenhagen-Protokoll: Die neue bürgerliche Elite

Es sind Bürger, die sehen, dass Klimapolitik nicht topdown funktionieren kann, und daher selbst die Initiative ergreifen. Sie bekennen sich zu ihrer Lebensstilverantwortung.

In diesem Moment, während in Kopenhagen die Staats- und Regierungschefs Politik machen bzw. verhindern, wächst in Deutschland - parallel zu anderen Industrienationen - eine neue bürgerliche Elite heran.

Es sind Kulturkreative, Designer, Architektinnen, Nachhaltigkeitsarbeiter, Unternehmer, Manager, grüne Oberbürgermeister, CDU-Gemeinderätinnen, Politikwissenschaftler, Sozialpsychologen, Werberinnen und Journalisten.

Es sind Bürger, die sehen, dass Klimapolitik nicht topdown funktionieren kann, und daher selbst die Initiative ergreifen. Sie bekennen sich zu ihrer Lebensstilverantwortung. Die Grundlage dafür ist eine gelebte Klimakultur. Das meint nicht Ökoterror, tugendhaftes oder "korrektes" Verhalten und auch nicht allein CO2-Reduktion. Es geht um einen Modernitätsschub und um eine Weiterentwicklung der Vorstellung von einem guten Leben und Zusammenleben einer globalen Gesellschaft.

Nun wird es Leute geben, die aufgeregt fragen: Schön und gut, aber sind diese neuen Bürger auch "Linke"? Da die Frage ja nur rhetorisch gestellt wird, folgt als Antwort die übliche Exkommunikation: Es seien "grüne Kapitalisten", die letztlich den "Bedürfnissen des Kapitals" zuarbeiteten. (Wenn schon, so wird der grün-böse Kapitalismus in Kopenhagen vorangebracht.)

Öko aber ist keine Frage von Parteizugehörigkeit mehr. Und das neue Bürgertum sind nicht die "anderen". Das neue Bürgertum der zwischen 1960 und 1980 geborenen Deutschen ist in breiten Teilen konservativ und alternativ zugleich. Einerseits materialistisch, andererseits sozial engagiert, einerseits karrieristisch, andererseits sich anders und stärker als die Eltern über Familien- und privates Glück definierend.

Sicher sind viele dieser Menschen gelähmt ob der multiplen Krisen der Gegenwart. Aber zunächst mal braucht es die, die nicht gelähmt sind. Es bildet sich in dieser neubürgerlichen Gesellschaft, in Teilen der wirtschaftlichen und kulturkreativen Elite, ein neues Verhältnis zum einst abgelehnten oder ignorierten Begriff "Öko" heraus. Der Klimawandel ist offensichtlich der Antrieb. Aber auch wenn es das Klimaproblem nicht gäbe: Es geht um etwas Erstrebenswertes, um besseres Wirtschaften, um intelligente Innovation, um bessere Produkte, um ein glücklicheres Leben.

Lebensstilverantwortung ist kein hysterisches Weltretten. Es ist Teil des neuen bürgerlichen Kanons mit dem Ziel, den "moralischen Markt" der sozial und ökologisch fair produzierten Waren zu vergrößern und der Politik Handlungsspielräume aufzuzeigen. Lebensstilverantwortung bedeutet: Ich will lieber mit meinen Kindern in professionell gedämmte Häuser ziehen als in Klimakriege.

Und das willst du doch auch.

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Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

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