Prozess in Italien: Tausendfacher Asbesttod vor Gericht

In Turin hat der Strafprozess gegen Manager der Eternit AG begonnen. Betroffene sprechen von 2.000 Toten und 800 Erkrankten durch mangelnde Sicherheitsvorkehrungen.

Angehörige der Opfer protestieren vor dem Gericht. Bild: dpa

ROM tazEtwa 2.000 Tote, dazu weitere etwa 800 Erkrankte sollen die beiden Angeklagten im Asbest-Prozess von Turin auf dem Gewissen haben: Menschen, die an den vier italienischen Standorten der Eternit AG Opfer der Kontaminierung mit Asbest wurden. Am Donnerstag begann in gleich drei großen Gerichtssälen die Verhandlung gegen den Schweizer Milliardär Stephan Schmidheiny und den belgischen Manager Jean-Louis de Cartier.

Die beiden tragen nach Auffassung des Staatsanwalts Raffaele Guariniello die Verantwortung "für eine vorsätzlich herbeigeführte Umweltkatastrophe und für die Umgehung der Sicherheitsvorschriften". Ihnen drohen bei einer Verurteilung bis zu zwölf Jahre Haft, dazu Entschädigungszahlungen von hunderten Millionen Euro.

Schmidheiny war als Mitglied der Eternit-Eigentümerfamilie auch für die italienischen Standorte des Schweizer Asbestmultis verantwortlich. Ebenso wie de Cartier soll er in den Jahren 1973 bis 1986 - damals wurde die Produktion in Italien eingestellt - wissentlich die Schädigung der Arbeiter, aber auch der Anwohner in Kauf genommen haben.

Als tragischstes Beispiel gilt Casale Monferrato. In dem piemontesischen 36.000-Einwohner-Städtchen sind schon etwa 1.800 Menschen an den Folgen von Asbestose und Lungenfellkrebs gestorben. Jedes Jahr werden etwa 50 Neuerkrankungen und etwa 40 weitere Tote gezählt.

Ein Arbeiter berichtete am Rande des Prozesses, aus seiner Abteilung mit 30 Leuten hätte schon 28 der Asbesttod ereilt. Doch nicht bloß die in der Fabrik Beschäftigten sind betroffen; auch zahlreiche Einwohner, die nie den Fuß in das Werk gesetzt hatten, erkrankten, offenbar weil die todbringenden Mikrofasern überall in der Stadt durch die Luft schwirrten.

Mehr als 700 Angehörige von Asbesttoten oder noch lebende Opfer hatten sich deshalb schon vor Prozessauftakt als Nebenkläger registrieren lassen; weitere Hunderte standen in einem der drei Säle Schlange. Der gesamte erste Prozesstag wurde deshalb von verfahrenstechnischen Prozeduren in Beschlag genommen; am 25. Januar wird die Verhandlung fortgesetzt.

Nicht gekommen waren Schmidheiny und de Cartier, die sich von einem 26 Köpfe starken internationalen Anwaltsteam verteidigen lassen. Schmidheiny ließ schon im Vorfeld erkennen, dass er eigentlich gar nicht weiß, wieso er vor Gericht steht. In Italien habe er nie operative Verantwortung für die Asbestproduktion in den Eternitwerken getragen, sondern sei "bloß der größte Einzelaktionär" gewesen, teilte er mit. Seine Verteidiger werden zudem argumentieren, dass der Prozess wegen Verjährung der Straftaten eingestellt werden müsse. Wie wenig Schmidheiny selbst dieser Verteidigungslinie traut, zeigt sich daran, dass er zugleich den Geschädigten und den Angehörigen der Toten Zahlungen von bis zu 40.000 Euro bieten ließ, wenn sie darauf verzichteten, als Nebenkläger aufzutreten.

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