Die Lucretia im Untergrund

ARCHÄOLOGIE „Harte Grauware“, Schlüssel und Pferdekiefer bringen Beweise für ein Dorf im 13. Jahrhundert. Es lag im Stephani-Viertel, das damals jedoch noch vor den Mauern der Stadt angesiedelt war

Archäologische Funde in der Neuenstraße im Stephani-Quartier ermöglichen neue Einblicke in das mittelalterliche Dorfleben vor den damaligen Toren der Stadt. Stadtarchäologe Dieter Bischop konnte unter einem ehemaligen Parkplatz, der nun überbaut wird, einen Brunnen und Keramiken aus dem 13. Jahrhundert finden.

Diese sogenannte „harte Grauware“, eine seinerzeit typische Keramik, fanden Bischop und seine Grabungstechniker in einem Schacht, der im 13. Jahrhundert als Brunnen genutzt wurde. Auch ein Schlüssel aus der gleichen Zeit, der möglicherweise zu einer Truhe gehörte, steckte im Brunnen – neben einem noch gut erkennbaren Pferdekiefer.

Viel Zeit ist nicht, um den Boden genauer nach historischen Funden zu durchkämmen. Zunächst hat der Winter lange die Arbeit der Archäologen behindert – nun müsse er sich sehr beeilen, sagt Bischop, darauf dränge mit großer Vehemenz der Bauherr. „Es ist schon ein bisschen vom Zufall abhängig, ob man in kurzer Zeit etwas findet“, sagt Bischop.

Dabei ist die Baugrube aufschlussreich. „Hier findet man wirklich das Dorf des 13. Jahrhunderts“, sagt Bischop. Dessen Bebauung sei weit auseinander gezogen, folgert Bischop aus der bisher geringen Funddichte im heutigen Stephani-Quartier – bezogen auf die archäologisch erfassbaren Dorfstrukturen.

Das Stephani-Dorf habe offenbar aus „weit auseinander gelegenen Höfen“ bestanden, die rund um die Kirche angesiedelt waren. Erst ab 1307 gehörte St. Stephani zum Stadtgebiet und wurde in deren Mauerring einbezogen. Sehr viele Untersuchungen kann man in diesem Gebiet heute leider nicht vornehmen. „Die dichte Bebauung macht es uns unmöglich, gezielt nach etwaigen Siedlungsspuren aus der Zeit vor dem 13. Jahrhundert zu suchen, sagt Uta Halle, die Leiterin der Landesarchäologie.

In der aktuellen Baugrube sind deutlich die verschiedenen Schichten von Kellerfundamenten zu erkennen. „Die Leute haben sich sozusagen hoch gewohnt“, umschreibt Bischop den sukzessiven Materialauftrag, der den Häusern ein immer höheres Bodenniveau gab.

In einem Brunnen aus dem 17. Jahrhundert stecken zahlreiche Emaille-Gefäßen aus dem Zweiten Weltkrieg. Anscheinend war er noch in den vierziger Jahren in Benutzung und wurde erst nach seiner kriegsbedingten Zerstörung mit nicht mehr gebrauchtem Hausrat verfüllt. Ein weiterer Brunnen enthielt wiederum gut erhaltene Ofenkacheln aus dem 16. Jahrhundert, der Zeit der beginnenden Religionskriege. Eine Kachel ziert das fünfte Gebot: „Du sollst nicht töten.“ Eine andere zeigt Lucretia, die seinerzeit sehr populäre Heilige. Der Legende nach wurde sie von einem römischen Königssohn vergewaltigt und rammte sich daraufhin einen Dolch ins Herz. Die Darstellung ist bemerkenswert gut erhalten.  KLN