weinprobe
: Komplikationen und Kitschfreiheit

Quarzit

Es war einmal eine Zeit, da erzeugte Peter Kühn mit die duftigsten und fruchtigsten Rieslinge am gesamten Rhein. Sie waren unkompliziert und frisch, unmittelbar zugänglich und taten überhaupt nicht weh; Kunden, Kontrolleure und Journalisten waren begeistert. Und also hätte alles so bleiben können, wäre da nicht Peter Kühn selbst, der mit einem Mal an all den Äpfelchen und Pfirsichen, den Apriköschen und Blümchen keinen Gefallen mehr fand, die seine Rieslinge aus den Gläsern bliesen wie der Herbst die Blätter von den Bäumen. Er erkannte, dass er seine Weine vielleicht allzu hübsch gemacht hatte und dass sie konkurrierten mit all den anderen, ebenfalls hübsch gemachten Rieslingen der Region, dass aber kaum eine dieser Schönheiten auch nur irgendetwas von dem Ort erzählt hätte, dem sie entstammte und der sie prägte. Große, anspruchsvolle Weine aber tun genau dies: In ihnen bricht sich die aus Boden, Klima und Rebsorte charakterisierte Herkunft Bahn ohne Rücksicht darauf, ob sie gefällt oder nicht. „Ein großer Wein muss Komplikationen haben“, sagt Kühn heute, gut fünf Jahre nachdem er auf biologische, zum Teil biodynamische Bewirtschaftung und manipulationsfreie Kellertechnik umgestellt hat. Inzwischen fördert er die Eigenschaften seiner Weine vor allem im Weinberg, was seine Rieslinge weitaus vielschichtiger hat werden lassen. Mögen sie anfangs auch zuweilen spröde wirken, so enthäuten sie doch ihren wahren Kern umso deutlicher, je länger sie geöffnet sind. Im Jahrgang 2004 ist Peter Kühn eine herausragende Riesling-Kollektion gelungen: vom filigranen Rheingau-Riesling (für 7 € pro Flasche) bis zum expressiven „Doosberg“, dem fulminanten trockenen Spitzen-Riesling des Hauses (eine Flasche kostet 22,90 €): kein einziger Wein, der auf eine bestimmte Art nicht großartig wäre. Der klare und geradlinige „Quarzit“ ist die nach kühlen Steinen und jungen Pfirsichen duftende Variante des „Doosberg“. Mineralisch geprägt und ausdrucksstark wie dieser, aber feingliedriger, verspielter, schlanker. Gleichwohl ist der „Quarzit“ einer der feinsten (und zudem preiswertesten) Rheingau-Rieslinge des Jahrgangs. 2004 Riesling „Quarzit“, Weingut Peter Jakob Kühn, Oestrich (Rheingau), 11,50 € in „Wein und Glas“, Am Prager Platz, 10717 Berlin Wilmersdorf, Tel. (0 30) 2 35 15 20.

Rosso di Spicca

Orvieto kennt man gemeinhin als Heimat jenes Weißweins, vor dem noch der Durstigste die Flucht antritt. Abgesehen davon, dass Corrado Bottai auf seinem alten Familienweingut überaus charaktervollen Orvieto Classico erzeugt, vor denen abzuhauen töricht wäre, zeichnet er sich auch für vorzügliche, sehr authentische Rotweine verantwortlich. Von ihnen ist der „Rosso di Spicca“ der Wein, der bei geringster finanzieller und intellektueller Anstrengung das größte Trinkvergnügen bereitet und von daher am schnellsten ausverkauft ist. Dieser mit fleischigem Canaiolo und einem flüchtigen Kuss Merlot vermählte Sangiovese aus luftiger Höhe und tuffsteinigen Böden duftet kitschfrei nach roten Johannisbeeren, Kirschen und wilden Brombeerbüschen, schmeckt fruchtig, frisch und angenehm würzig und erweist sich als ein unkomplizierter, angenehm zu trinkender Wein für jeden Tag. Dabei ist seine Qualität deutlich höher, als es der Preis vermuten lässt. Daher: Ein echter Best Buy, der gut zu Käse, Wurst und Pasta passt. 2004 „Rosso di Spicca“ Rosso Orvietano DOC, Le Velette (Umbrien/Italien), 7 €, Bezug s. o.

STEPHAN REINHARDT