Nofretete im neuen Glanz in Berlin: Das Volk huldigt seiner Königin

Zwei Stunden Wartezeit nehmen die Berliner in Kauf, um die Nofretete am Eröffnungswochenende des Neuen Museums zu sehen. 16.500 strömen bei freiem Eintritt in die Ausstellung.

Im Mittelpunkt des Interesses: Die Büste der Nofretete. Bild: reuters

Lothar Günther steht genau da, wo alle hinwollen, die sich am Samstagvormittag irgendwo zwischen Lustgarten und Museumsinsel in die Warteschlange eingereiht haben: am Eingang des Neuen Museums. Günther ist Leiter des Wachdienstes der Staatlichen Museen zu Berlin, und an diesem Eröffnungswochenende, wo ganz Berlin kostenlos der Königin huldigen will, besonders wichtig. Das erkennt man auch an der Freisprecheinrichtung, die an seinem rechten Ohr klemmt.

"Zurzeit sind 1.250 Menschen im Museum, mehr lassen wir gleichzeitig nicht rein", erklärt er. "Bei einer Verweildauer von zwei Stunden im Durchschnitt können Sie sich ausrechnen, wie lange die Leute heute warten müssen." Mit Hilfe der Polizei habe man die Schlange schon umgeleitet in den Lustgarten, damit der Verkehr nicht blockiert werde. "Aber wir wussten ja, was auf uns zukommt."

Das Haus, das nun wieder die Büste der ägyptischen Königin Nofretete beherbergt, ist für mehr als 200 Millionen Euro vom Architekten David Chipperfield renoviert worden. Es war im Krieg stark zerstört worden und wurde am Freitag nach über 70 Jahren wiedereröffnet. In dem imposanten Bau sind das Ägyptische Museum, das Museum für Vor- und Frühgeschichte und Teile der Antikensammlung untergebracht.

Am ersten Wochenende kamen mehr als 16.000 Besucher.

Mit der Wiedereröffnung sind erstmals seit 1939 wieder alle fünf Ausstellungshäuser auf der Museumsinsel zugänglich. Zugleich markiert sie einen wichtigen Schritt zur Realisierung des Masterplans, nach dem die Museumsinsel bis 2028 modernisiert wird.

Michaela Verbüchen ist weniger entspannt. Gemeinsam mit ihrem Mann macht sie fünf Tage Urlaub in Berlin. "Als wir heute Morgen im Radio von der Museumseröffnung gehört haben, sind wir gleich hergekommen." Seit zwei Stunden stehe sie nun in der Schlange, ständig drängele sich jemand vorbei. "Trier ist ja nur eine kleine Stadt, aber als wir die große Ausstellung zu Kaiser Konstantin hatten, da war das besser organisiert." Trotzdem: Für Nofretete lohne sich die lange Warterei allemal. Ein Glück, dass genau jetzt der Mann vom Wachschutz nickt und Verbüchen, ihren Mann und eine Handvoll Wartender in die heiligen Hallen einlässt.

Verglichen mit dem Menschenauflauf draußen ist es im Haus unglaublich ruhig und leer. Kein Gewusel, kein Gedränge, an der Garderobe warten vier Menschen. Die Kunst hat Platz. Hier wird nicht gesprochen, hier wird geflüstert, wenn überhaupt, denn die meisten der Besucher lauschen mehr oder weniger andächtig ihrem Audioguide, während sie in die Vitrinen starren. Gestört wird die Stille nur durch die knarzenden Funkgeräte des Sicherheitspersonals.

Martina Holzmannova und Veronika Kolavikova sitzen in einer Nische und fallen auf. 17 und 19 Jahre alt sind die beiden Schülerinnen aus Tschechien und damit deutlich jünger als der Durchschnitt. "Wir besuchen das Museum mit unserer Klasse", erzählt Holzmannova in schleppendem Englisch. Sie hätten allerdings nicht gewusst, dass es erst an diesem Wochenende wiedereröffnet worden sei. "Wir mussten lange warten, aber die Architektur des Gebäudes und die alte Kunst gefallen mir."

In der ersten Etage wird es dann doch ein wenig eng. Hier steht alleine in einem achteckigen Raum die Büste der Nofretete, die Hauptattraktion der Ausstellung. Gerade dreht der RBB und sorgt mit großen Scheinwerfern für eine optimale Ausleuchtung. Zusätzlich kämpfen unzählige Fotografen mit großen Teleobjektiven, Stativen und drei Ersatzkameras um den Hals um die beste Perspektive für ein Bild vom Profil der Königin, dazwischen wuseln die Hobby-Fotografen mit Kleinkameras und Fotohandys. Ohne Chance bleibt die Aufseherin, die alle 20 Sekunden verzweifelt ihr Mantra wiederholt: "Bitte kein Blitzlicht."

Im obersten Stockwerk hängt Vitus schlapp wie ein Schluck Wasser im Schoß seiner Mutter. Der Zehnjährige ist so erschöpft, dass er nur noch in Wörtern antworten kann. Wie es ihm gefallen hat? "Gut." Und die Nofretete? "Interessant." Die Familie sei eigens aus Magdeburg angereist, erklärt seine Mutter Waltraud Kraft. "Vitus nimmt die Ägypter gerade in der Schule durch, und nachdem ich im Fernsehen einen Bericht über die Wiedereröffnung gesehen hatte, haben wir für heute einen Familienausflug geplant." Über eine Stunde hätten sie warten müssen, aber darauf sei man eingestellt gewesen. "Gegen die Kälte hilft die richtige Kleidung."

Raus aus dem Neuen Museum geht es ganz schnell durch den Hintereingang Am Kupfergraben. Dort versammeln sich die müden Reisegruppen. Derweil erzeugt die langsam kriechende Schlange am Hauptportal einen Rückstau bis vor den Berliner Dom. Zwei geschäftstüchtige junge Leute bauen neben den Wartenden ihren Würstchenstand auf. Sie haben Zeit.

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