Was die Chinesen lesen: Erfolg durch Bücher

Der Bertelsmann-Club war die Avantgarde einer neuen Lesekultur in China, die aufs Praktische ausgerichtet ist. Erfolgreich sind dort heute Bücher, die vom Erfolgreichsein handeln.

Auf der Suche nach den Geheimnissen des Erfolgs: Besucher der Buchmesse in Hongkong, 2007 Bild: dpa

Lesen wird als eine noble Sache betrachtet. Aber immer weniger Leute schenken dieser noblen Sache Beachtung. Sie verschwindet genauso aus der Welt wie die Philosophie. Aufgrund von Facebook und Twitter wird das Lesen mehr und mehr zum bloßen Instrument. Wenn es ums Nachschlagen von Informationen geht, dann wird gelesen.

Dass im Zeitalter der Globalisierung das Interesse der Bevölkerung am Lesen nachlässt, ist überall offensichtlich. Laut einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung sind nur 50 Prozent der Deutschen der Meinung, dass Lesen ihre eigene Zukunft verbessern kann. In China wäre dieser Prozentsatz wahrscheinlich höher.

Lesen war in China immer stark mit einem Hang zum Kollektivismus verbunden. Egal ob man früher die älteren Autoren las, die über Liebe zum Vaterland und zur Partei schrieben, oder heute die neuesten Bestseller über die Enthüllung historischer Geheimnisse oder über Wirtschaftsmanagement - die ganze Bevölkerung liest anscheinend immer zur gleichen Zeit die gleiche Art von Büchern.

Die Kinder Bertelsmanns

Mit der Bertelsmann-Stiftung gibt es seit meiner Kindheit einige Verbindungen. Ich bin in einer kleinen Stadt geboren, dort gab es nur die staatlichen Buchläden des Xinhua-Verlags. Sie verkauften hauptsächlich Lehrmaterialien, der Rest des Angebots war wenig attraktiv. Als Bertelsmann in China einen Buchclub gegründet hat, konnte man sich auf postalischem Wege Bücher bestellen, die man in kleinen Städten normalerweise nicht erhielt. Bertelsmann wurde zum Evangelium für Kinder in kleinen Städten. Ich bin ein solches Kind.

Als Bertelsmann in China seine Geschäfte aufnahm, war eines der meist beworbenen Bücher der Titel "Revolution des Lernens". Es kam der chinesischen Vorliebe für kurze Wege sehr entgegen. Jeder wollte durch das Lesen eines solchen Buches zu einem guten Lernenden werden, sofort Erfolg haben. Später dann ist Bertelsmann im sich immer weiter öffnenden chinesischen Markt untergangen. Lesen ist aber für Chinesen immer noch eine Sache des schnellen Profits. Chinas Bestseller befassen sich damit, wie man erfolgreich ist.

Einer meiner chinesischen Freunde arbeitet in einer ausländischen Firma. Seine Bücherregale zu Hause sind vollgepackt mit Büchern über Beruf und Karriere, zum Beispiel "Sieben Regeln zum Erfolg", "Die Karriere von Du Lala" (einer jungen Chinesin, die in einer ausländischen Firma Karriere macht). Ziel meines Freundes ist, soviel Geld wie Warren Buffet zu verdienen. Sein Lieblingsbuch ist dessen Biografie "The Snowball".

Was passiert hinter den Kulissen?

Was eine Gesellschaft liest, ist ein Spiegel der Gesellschaft. Als Hongkong für reisende Chinesen geöffnet wurde, waren die chinesischen Buchläden der Stadtteile Mongkok und Causeway Bay immer restlos mit Chinesen gefüllt. Sie kaufen wie wild Bücher über die Geheimnisse der Politik der Volksrepublik, obwohl viele dieser Publikationen offensichtlich nur Gerüchte enthalten.

Dieses Verhalten kann man gut verstehen. Denn die Menschen haben keine Möglichkeit, über normale Kanäle an wahrheitsgemäße Informationen zu gelangen. Sie haben nicht zu Medien Zugang, die wahrheitsgemäß berichten und kennen auch keine verlässlichen Publizisten. Sie beziehen ihre Informationen über besagte Bücher in Hongkong und Taiwan.

Die geheime Politik der chinesischen Regierung erregt die Neugierde der Chinesen. Deshalb sind Bücher über historische Enthüllungen so im Kommen. Einige Autoren, die nur mittelmäßig schreiben, wie zum Beispiel Yu Dan oder Yi Zhongtian, sind sehr beliebt. Und zwar, weil ihr Blick auf Geschichte etwas von der normalen Darstellung abweicht, nicht mehr so offiziell geprägt ist, nicht mehr so stark der Partei entgegenkommt.

Das Buch als Statussymbol

Ein Freund von mir ist ein Fan von solchen Büchern. Er hat nur die Grundschule besucht. Als armer Dreiradfahrer hat er angefangen, nun besitzt er jetzt eine große Futterfabrik und ist als Investor in der Immobilienbranche tätig. Er hat ein Vermögen von 100 Millionen chinesischen Yuan erwirtschaftet. Aber was sein Bildungsniveau angeht, leidet er unter einem Minderwertigkeitskomplex. Deswegen ließ er in seinem Büro ein gigantisches Bücherregal aufstellen, auf dem er außer Büchern über politische Geheimnisse aus Hongkong etliche klassische chinesische Geschichtsbücher und die in China wichtigsten ausländischen literarischen Meisterwerke gleich serienweise präsentiert.

Irgendwann haben die chinesischen Händler dies als eine kommerzielle Chance erkannt. Und es ist eine wichtige Einnahmensquelle für die Verlage geworden, derartige Bücher in Serien herauszugeben. Sie verpacken sie prächtig und pompös, um die Bedürfnisse der Neureichen mit relativ niedrigem Bildungsniveau zu befriedigen. Das ist Chinas Realität. Man ist beim Lesen eher auf etwas Nützliches aus. So haben alle, jeder auf seine Weise, Freude am Lesen.

Aus dem Chinesischen von Kristin Kupfer und Liu Feng.

CHEN MENGCANG, geb. 1981, ist Redakteur und Journalist beim chinesischen Webportal Netease (Wangyi) in Peking. Dieses ist vergleichbar mit den Portalen gmx oder yahoo.

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