Scharwenzeln ist Trumpf

Groteske über den Selbstvermarktungswahn: Julius Jensens Stück „Ich, Böt Guse“ auf Kampnagel lässt das Publikum teilhaben am Elend jener, die ohne TV-Präsenz nicht existieren können

Leben ist nicht dasselbe wie staubtrockenes Papier

von Katrin Jäger

Es ist wie bei Pilawa. Die Zuschauer traben kolonnenartig durch den Kampnagel-Hintereingang Richtung Studiobühne. Vorbei an einem angespannten Schauspieler am Schminktisch, durch den billigen Wohnwagen des Regisseurs hindurch, entlang an zerdrückten Zigaretten und zerknüllten Bonbonpapieren.

Dann kommt Jenny, Mädchen für alles im Staff um Böt Guse (Simon Zigah), den durchgeknallten Regisseur, der sein erbärmliches Leben zu verfilmen gedenkt. Jenny feuert in Julius Jensens Stück Ich, Böt Guse, das derzeit auf Kampnagel gespielt wird, das Publikum an, gibt Anweisungen, wann geklatscht, gelacht und gemurmelt werden soll. Das alles garniert mit charmantem US-amerikanischem Akzent und in exakt der wuseligen Hektik, wie sie Filmteams versprühen.

Ich, Böt Guse – Ein Leben für die Kunst ist eine geistreiche Groteske rund um den medialen Selbstbeweihräucherungswahn. „Böt Guse ist ein Konstrukt“, ruft Protagonist Böt Guse selbst, und genau darum geht es: um eine gescheiterte Existenz, die sich verzweifelt und doch merkwürdig souverän selbst zu erfinden sucht. Böt Guse – das ist einer, der nur dann Ruhe gibt, wenn der Filmer Leonardo mit seiner Handkamera um ihn herumscharwenzelt und Böt auf einen von drei Monitoren abbildet.

Den Identitätskonflikt des Protagonisten bereichert ein Schauspieler, der Böt Guse im Film verkörpern soll. Ohne Drehbuch, ohne Konzept, unter chaotischen Bedingungen wird gedreht. Die wiederum hält der fiktive Regisseur nicht aus. Er kann nicht anders, als die Waffe zu ziehen, doch selbst diese mörderische Geste gerät zum vermarktungsfähigen Medienereignis.

Julius Jensen hat dieses neurotische Identitätenspektakel straff inszeniert. Spannend ist das, zumal die pointierten Seitenhiebe auf die Gepflogenheiten des Filmgenres – Zeitmangel, Geld im Überfluss für windige Projekte, Verheizung des Personals – gut funktionieren. Die Schauspieler bringen diese Kritik mit unbarmherziger Leichtigkeit. Und geradezu meditativ durchbrechen echte Geistesblitze von Böt Guse die verquirlte Handlung, und dann stehen die anderen auf einmal still: „Man kann das Leben nicht einfach aufschreiben. Sobald man es aufschreibt, verwandelt es sich in Papier, und Papier ist trocken. Ich, Böt Guse bringt nicht nur im Titel Gut und Böse durcheinander: Das Stück transportiert überzeugend die philosophische Theorie des Dekonstruktivismus humorig ins Leben.

Weitere Aufführungen: 19. + 20.11., 19.30 Uhr, Kampnagel