Routinierte Huldigungen

BUNDESPOLITIK Den Rücktritt eines Papstes zu verarbeiten ist Neuland für das politische Berlin. Nach zwei Stunden Sprachlosigkeit fand Angela Merkel die passenden Worte

„Danke für seine Arbeit, ich wünsche ihm von Herzen alles Gute für die nächsten Jahre“

ANGELA MERKEL

AUS BERLIN ANJA MAIER
UND ULRICH SCHULTE

Meistens beginnen historische Tage ganz normal. Montagmittag im Haus der Bundespressekonferenz, Berlin-Mitte. Regierungssprecher Steffen Seibert, die lilafarbene Krawatte korrekt gebunden, Weste unter dem Sakko, versucht, das Hickhack des Wirtschaftsministers mit dem Umweltminister bei den Strompreisen in mildem Licht erscheinen zu lassen. Der Sprecher drechselt an Antworten, Journalisten haken nach, der politische Betrieb startet gemächlich in die Woche.

Plötzlich die Frage: Ob Seibert schon sprechfähig sei zu Meldungen, dass der Papst zurücktrete? Seibert stockt unmerklich. Schaut von seinem Handy hoch. Überspielt die Überraschung, die alle im Saal teilen. „Eine Entscheidung solcher Tragweite kommentieren wir nicht auf Basis von Tickermeldungen.“ 11.48 Uhr, Eilmeldung der italienischen Nachrichtenagentur Ansa: „Papst Benedikt wird zurücktreten.“

Der Papst tritt zurück? Die Nachricht schockt. Für alle möglichen Ereignisse gibt es in Ministerien und Parteizentralen Routineabläufe. Rücktritte, Unglücke, selbst Kriegsausbrüche – alles schon da gewesen. Für einen Papstrücktritt gibt es keine Sprachregelung – weil so etwas nie passiert. Ein Papst stirbt, er geht nicht. Vor über 700 Jahren gab zuletzt ein Papst freiwillig sein Amt ab. Und jetzt Bene- dikt XVI.

„Die Bürde des Alters“

Um 14 Uhr tritt Angela Merkel vor die Medienwand im Kanzleramt. Sie hat anstrengende Tage hinter sich. Bis Freitag Europäischer Rat in Brüssel, Samstag der Rücktritt ihrer Vertrauten Annette Schavan, jetzt muss sie etwas nie Dagewesenes kommentieren. Wenn der Papst nach reiflicher Überlegung entscheide, seine Kraft reiche nicht mehr, „so hat das meinen allerhöchsten Respekt“, sagt Merkel. Sie bezeichnet ihn als „einen der bedeutendsten religiösen Denker unserer Zeit“.

Merkel tut etwas sehr Kluges. Sie stellt einen Bezug zwischen der Entscheidung und der Lebensrealität normaler Menschen her. In einer Zeit, in der Menschen immer länger lebten, könnten viele nachvollziehen, dass sich auch der Papst „mit den Bürden des Alters auseinandersetzen muss“. Jeder hat das Recht, eigene Antworten zu finden, heißt das. Und: Niemand kann sich anmaßen, eine solche Entscheidung zu beurteilen.

Merkel erinnert kurz an Auftritte dieses deutschen Papstes in seiner Heimat. Etwa an den Kölner Weltjugendtag oder seine Rede im Bundestag im September 2011. „Die Politik muss Mühen um Gerechtigkeit sein“, charakterisierte er damals den Beruf des Politikers.

Die Kanzlerin hat noch eine andere Geschichte mit diesem Papst. Merkel, die Ostdeutsche, deren Vater evangelischer Pfarrer war, hat zu den Ritualen des Katholizismus keinen biografischen Bezug. Doch einmal legte sie sich persönlich mit dem Kirchenoberhaupt an: Im Februar 2009 war das, Benedikt hatte kurz vorher die Exkommunikation von vier Bischöfen der ultrakonservativen Pius-Bruderschaft aufgehoben. Zu ihnen zählte der Brite Richard Williamson, der den Holocaust offen leugnet.

Die vorsichtige Kanzlerin wagte eine Konfrontation. Sie forderte eine eindeutige Klarstellung des Papstes, dass es eine Leugnung nicht geben dürfe. Ein Affront. Die Christdemokraten sind stolz auf das C im Parteikürzel, der Katholizismus ist eine starke geistige Strömung in der Partei. Viele Parteifreunde empfanden die Kritik als unerhört.

Diese Konfrontation blieb am Ende eine Episode. Die Kanzlerin führte mehrere Gespräche mit dem Papst, wie sie gestern betonte. Als Bundeskanzlerin sage sie „Danke für seine Arbeit, ich wünsche ihm von Herzen alles Gute für die nächsten Jahre“.

Wünsche aus Bellevue

Eine Stunde später gab das Staatsoberhaupt eine Erklärung ab. Bundespräsident Joachim Gauck hat den Papst erst kürzlich besucht. Der ostdeutsche Protestant und Pfarrer traf den gebürtigen Bayern Benedikt XVI. Anfang Dezember in Rom. Seine Lebensgefährtin Daniela Schadt hatte der verheiratete Gauck, dessen Frau in Rostock lebt, zu Hause in Bellevue gelassen.

Das Vieraugengespräch dauerte damals im Vatikan eine Dreiviertelstunde, länger als protokollarisch vorgesehen. Im Anschluss sagte Joachim Gauck über das Gespräch unter Theologen, er habe einen „hellwachen Heiligen Vater erlebt“, bestens vorbereitet auf seinen Gast, auch bestens informiert über dessen Herkunft als Pfarrer aus der DDR-Bürgerrechtsbewegung. Insgesamt sei es weniger um die Differenzen zwischen den beiden Kirchen gegangen als um das, was verbindet.

Auch am Montag, bei seiner kurzen Ansprache in Bellevue, erinnerte sich Gauck an diese Begegnung. Er sei damals „tief beeindruckt“ gewesen von der „hohen theologischen und politischen Bildung“ des Heiligen Vaters, von dessen Fähigkeit zur „Orientierung und Ermutigung“. Benedikt sei „als Papst der ganzen Welt verpflichtet“, er sei aber auch in besonderer Weise mit seiner deutschen Heimat verbunden. Das Staatsoberhaupt wünschte Benedikt XVI. einen „erfüllten, gesegneten Lebensabend“.

Demokratie im Vatikan

Von Parteipolitikern war an diesem Tag vielfach das Wort „Respekt“ zu hören. Mit „Respekt und Bedauern“, sagt SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles, habe man die Entscheidung zur Kenntnis genommen. Er sei mit seinem gesamten Werk dafür eingetreten, „dass der christliche Glaube nicht nur Bekenntnis fordert, sondern auch Vernunft und Verantwortung“.

Auch Katrin Göring-Eckardt, Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Grüne, zollte dem Papst „großen Respekt“. Der Papst sei der Überzeugung, dass ein verliehenes Amt auch wieder abgegeben werden kann. „Damit hält ein Stück mehr Demokratie Einzug in die katholische Kirche.“

Raju Sharma, der religionspolitische Sprecher der Linkspartei, nannte die Entscheidung Benedikts „ungewöhnlich, konsequent und souverän“. Die Bewertung seines Wirkens obliege „den Katholikinnen und Katholiken weltweit“, er wünsche „Joseph Ratzinger alles Gute“. Damit lieferte die Linkspartei den nüchternsten Abschiedsgruß, so wie es ihrer ostdeutschen Tradition entspricht.