Frauenfussball: Die bescheidene Leistungsträgerin

Sie ist erfolgreich, ehrgeizig - und 19 Jahre jung: Bei der Europameisterschaft in Finnland war Kim Kulig vom HSV eine der Besten im deutschen Team. Nicht nur deswegen wird sie längst von anderen Vereinen umgarnt. Ob die gebürtige Schwäbin in Hamburg bleibt, wird daran liegen, wie heimisch sie sich im Norden fühlt.

Kopfballgerechte Frisur: HSV-Allzweckwaffe Kim Kulig. Bild: dpa

Manchmal ist Kim Kulig ganz froh, dass sich hierzulande kaum jemand für Frauenfußball interessiert. "Würde ich bei den Männern spielen", sagt sie, "hätte ich gar keine Ruhe mehr". In der Tat: Der Rummel ist groß um die 19-Jährige, seit sie sich während der Europameisterschaft einen Stammplatz in der deutschen Nationalmannschaft erarbeitet hat. Sie ist die jüngste im Team, wurde gegen Norwegen zur besten Spielerin gewählt und hat im Finale ein Tor geschossen. Gegen England, ausgerechnet.

Kim Kulig, anfangs beim SV Poltringen, seit der Saison 2008 / 09 beim Hamburger SV, ist die vielleicht größte Hoffnung des deutschen Frauenfußballs. Und steht dabei noch ganz am Anfang ihrer Karriere. Wenn Christian Lenz, Leiter der Frauenmannschaft des HSV, ihr beim Training zusieht, dann blickt er ein bisschen sorgenvoll drein: Kim Kulig sprintet, übt mit Trainer Achim Feifel Kopfbälle. Sie ist beidfüßig und vielseitig: in der Abwehr stark, aber auch im Angriff. Fast einen Meter achtzig ist sie groß und wirkt sogar noch größer, wie sie ihre dicken Locken über dem Kopf gebunden trägt.

Ja, Kulig fällt auf. Und Christian Lenz weiß, dass andere Vereine inzwischen auch ganz genau hinschauen. "Da sind einige hinter ihr her", sagt er. "Aber wir tun alles, um sie zu halten."

Die derart Umschwärmte selbst sitzt nach dem Training in der Vereinsstube und sagt, dass sie sich eine Zukunft beim HSV durchaus vorstellen könne. Es ist schon spät, Kulig ist müde, ihr ist kalt, sie wäre jetzt lieber im Bett. Aber sie ist freundlich und bemüht sich, alle Fragen zu beantworten, wie so oft in letzter Zeit.

"Ich stehe nicht gern im Mittelpunkt", sagt sie und nestelt am Kragen ihrer Trainingsjacke, beinahe als wolle sie sich dahinter verstecken. Sie mag es, Tore zu schießen, sie will gut spielen und sie will gewinnen. Was sie nicht mag, das ist das Rampenlicht. Aber sie hat auch gelernt, dass es inzwischen dazu gehört.

Sie gibt Interviews und hat Fernsehauftritte, lächelt in Kameras und spricht über die Kunst, sich eine kopfballgerechte Frisur zu zaubern. Es gibt schöne Geschichten über Kim Kulig. Zum Beispiel die, dass sie in VfB-Stuttgart-Bettwäsche schläft und nie ungeschminkt das Feld betritt. Im Prinzip sind ihre Auftritte Übung für 2011. Dann steht die nächste Weltmeisterschaft an, im eigenen Land - und viele rechnen damit, dass Kulig der Star der Veranstaltung, vielleicht ja sogar eines neuen Sommermärchens, wird.

Es ist eine junge, ehrgeizige, professionellere Generation von Fußballspielerinnen, die dann auflaufen wird. "Man braucht viel Disziplin", sagt Kim Kulig. Zurzeit macht sie noch Abitur, geht morgens zur Schule und abends ins Training und versucht dann, so früh wie möglich ins Bett zu kommen. Über die Zeit nach dem Fußball macht sie sich noch lange keine Gedanken: "Ich schaue immer nur aufs Jetzt."

Jetzt, das ist im Moment der HSV, aber je besser sie spielt, desto schwerer wird es für den Verein werden, sie zu halten. Viele ihrer Kolleginnen aus der Nationalmannschaft sind in Duisburg, Frankfurt, Potsdam unter Vertrag - bei den Vereinen, die im Frauenfußball traditionell die Meisterschaft unter sich ausmachen. Der HSV ist da eher ein Kandidat fürs Liga-Mittelfeld.

Aber es ist nicht allein der sportliche Erfolg, der zählt. Als in diesem Frühjahr Vertragsverhandlungen mit dem Frankfurter FFC bekannt wurden, war in den Medien rasch von Heimweh die Rede und davon, dass der Sprung nach Hamburg vielleicht doch zu groß gewesen sei: Kim Kulig kommt aus dem Süden. Ammerbuch-Poltringen, Landkreis Tübingen: 1.700 Einwohner, ein Sportplatz, ein Sonderlandeplatz für Amateurflugzeuge, ein Wasserschloss. Hier ist sie aufgewachsen, hat das Fußballspielen bei den Jungs gelernt. Es folgten Jahre beim Zweitligisten Sindelfingen und 2008 der Wechsel zum HSV: zum ersten Mal erste Liga, zum ersten Mal Großstadt. Und die Erfahrung, dass der schwäbische Dialekt auf die neuen Mitschüler befremdlich wirkte.

Heute spricht sie Hochdeutsch, hat ihre besten Freundinnen in der Mannschaft und verneint alle Spekulationen über einen Wechsel. Dass sie ihren Trainer Achim Feifel schon aus der württembergischen Auswahl kennt, hat ihr vieles leichter gemacht. Gut, die Maultaschen, die vermisse sie schon, sagt Kulig. Aber sie fühle sich wohl in Hamburg. Dass das möglichst lange so bleibt, darauf achtet, durchaus eigennützig, der HSV.

Den ganz großen Ehrgeiz kann er zwar nicht befriedigen - aber ein bisschen Nestwärme, die kann er ihr bieten. Etwas außerhalb der Stadt, in Norderstedt im Süden Schleswig-Holsteins, liegt das Trainingsgelände, das Kim Kulig ihre eigentliche Heimat nennt. Hier kennt man sich, hier trägt man Blau. Wenn sie vom Trainingsplatz zur Kabine läuft, grüßen sie alle. Der Verein hat ihr eine Wohnung in der Nähe vermittelt, auch die Schule ist nicht weit weg. Es ist ihr ein vertrautes Umfeld geworden. Wie ein eigenes, kleines Dorf.

"Wir wissen, was wir an ihr haben. Und sie weiß, was sie an uns hat", sagt Christian Lenz. In den Plänen des Hamburger SV spielt Kim Kulig eine Schlüsselrolle: Sie soll dem Team zu einem besseren Platz in der Liga verhelfen - und, was vielleicht noch wichtiger ist, zu ein bisschen Glanz. Wie lange der nach der Europameisterschaft anhält, wird sich an diesem Sonntag zeigen: Da geht es gegen Jena, es ist das zweite Heimspiel der Saison. Zur ersten Partie kamen 723 Zuschauer statt wie üblicherweise rund 500. Der HSV verlor trotzdem, 1 : 4. Das eine Tor hat Kim Kulig gemacht.

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