Schwarz-Gelbe Netzpolitik: Liberaler Spagat

Der Grundrechts-Flügel der FDP könnte in der Netzpolitik durchaus liberale Akzente setzen. In der Netz-Wirtschafts-Politik ist eine größere Nähe zur Content-Industrie zu erwarten.

Schwarz-Gelb verspricht eher zur Interessenvertretung der Content-Industrie als der Filesharer zu werden. Bild: dpa

Mit der Abwahl der Großen Koalition zu Gunsten von Schwarz-Gelb brechen interessante Zeiten für das Internet an. Während mit CDU/CSU weiterhin die konservativen Kräfte den Ton angeben, die stets das Argument vom angeblich "rechtsfreien Chaosraum" im Munde führen, der zu regulieren sei, gibt es bei der FDP durchaus einen grundrechtsliberalen Flügel, der dagegen halten könnte.

Bei den Internet-Sperren gegen Kinderpornografie, die die meisten Experten für wirkungslos halten und die trotzdem von CDU-Familienministerin von der Leyen zusammen mit großen Teilen der SPD im Eilverfahren durchgeboxt wurden, kommt es stark auf das Durchsetzungsvermögen der Liberalen an. Die hatten gegen das Gesetz gestimmt, von dem Netzaktivisten fürchten, dass es ein Einstieg in eine Internet-Zensur sein könnte - sogar eine Verfassungsklage konnten sich FDP-Politiker zu jener Zeit vorstellen, wenn man nicht bei der Bundestagswahl siegen werde.

Nun bleibt abzuwarten, ob die Grundrechtsliberalen, zu denen unter anderem Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gehört (mancher sieht sie bereits als neuerliche Justizministerin), Wort halten und die in der Partei seit vielen Jahren federführenden und eher konservativen Wirtschaftsliberalen zum Mitziehen bewegen können. Druck von der CDU ist ihnen gewiss.

Ähnliches gilt beim Daten- und Privatsphärenschutz - ein Themenbereich, der in den nächsten Jahren für immer mehr Bürger kritisch werden dürfte. Während die Wirtschaftsliberalen ähnlich wie die CDU hier der Industrie gerne die ein oder andere umstrittene Methode erlauben wollen, damit das Geschäft läuft, betonen Leutheusser-Schnarrenberger und Co. die Bürgerrechte. Immerhin: Hier ist mehr Bewegung zu erwarten als unter der Großen Koalition, die die Novellierung des Datenschutzgesetzes nach Ansicht der meisten Verbraucherschützer völlig versemmelt hat. Aber auch hier ist nicht ausgemacht, welcher FDP-Flügel dem Ganzen seine Handschrift aufdrücken kann.

Bei der Netzneutralität, einer der wichtigsten Debatten zur Zukunft des Netzes, die dennoch derzeit hier zu Lande noch kaum in den Schlagzeilen ist, könnte es unter der wirtschaftsfreundlichen Kombination Schwarz-Gelb zu unangenehmen Entwicklungen für das Internet kommen. Dabei geht es um die Frage, in wie weit große Endkunden-Provider beliebig Daten ausbremsen und beschleunigen können - je nachdem, ob ihnen ein Inhalteanbieter Geld dafür zahlt.

Derzeit müssen die Anbieter jeglichen Datenverkehr im Festnetz mit der höchstmöglichen Geschwindigkeit durchleiten, was innovative Dienste erlaubte, die die alten Telekommonopole brachen. Wird den Providern nun erlaubt, wieder zu kontrollierten Online-Diensten zu werden, die beliebig bestimmen können, was Nutzer sehen, würde dies das Ende dieser Netzneutralität bedeuten - was aktuell im Rahmen der Novellierung des EU-Telekom-Paketes scharf debattiert wird. Wie das ausgehen könnte, sieht man an der Netzversorgung per Handy: Dort verbieten die meisten Anbieter standardmäßig die Nutzung der billigen Internet-Telefonie, weil sie sie wertvolle bezahlte Mobilfunkminuten kosten könnte.

Bei der Urheberrechtsdebatte ist ebenfalls eher eine Verschärfung zu erwarten. Sowohl CDU/CSU als auch FDP gaben sich im Vorfeld der Wahl hier Medienindustrie-freundlich. So erwartet mancher Beobachter, etwa Markus Beckedahl vom Blog "Netzpolitik.org", dass wir nun in Deutschland eine ähnliche Debatte um Anschlussabschaltungen von Tauschbörsennutzern bekommen, wie sie etwa in Frankreich tobt. Dort drohen Usern bald empfindliche Strafen und, was angesichts der beruflichen Nutzung womöglich schlimmer ist, das Abdrehen des Netzzugangs bei urheberrechtsrelevantem Fehlverhalten. "Alternativen und die Interessen der Verbraucher im Urheberrechtskrieg werden von dieser Koalition nicht vertreten werden", schreibt Beckedahl in seinem Blog.

Abzuwarten bleibt, ob Schwarz-Gelb und die restliche Parteienlandschaft realisiert, wie wichtig Netzthemen für immer mehr Bürger werden. Hervorragend ablesen lässt sich dies am Achtungserfolg der Piratenpartei. Die kam aus dem Stand auf 2 Prozent bundesweit, was rund einer Million Wählern entspricht. In manchen Bezirken, etwa dem linksalternativen Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin, hängte die Gruppierung, die sich für Bürgerrechte und Selbstbestimmung im Netz einsetzt, bereits die FDP ab (6,2 Prozent gegen 5,9).

Die Piratenpartei will sich laut dem Parteivorsitzendem Jens Seipenbusch nun sammeln und mit neuem Schwung zu den nächsten Wahlen antreten. Dass sie es aus dem Stand auf über fünf Prozent geschafft hätte, hatte kein Parteienforscher vorhergesagt - es wäre in der Geschichte der Bundesrepublik auch einzigartig gewesen. Andererseits war der gestrige Wahlabend voll von solchen Erlebnissen - so etwa beim Ergebnis der SPD, die unter Steinmeier und Müntefering so schlecht abschnitt wie nie.

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