Kommentar Autoindustrie: Die grüne Tarnkappe der IAA

Das Elektroauto kann langfristig nur Erfolg haben, wenn unter der geistigen Motorhaube ernsthaft abgerüstet wird: Es braucht kleine, leichte, intelligente Autos.

Am 29. April 1899 fuhr der belgische Rennfahrerteufel Camille Jenatzy als erster Mensch schneller als 100 Stundenkilometer. Er saß in einem Elektroauto. Das hatte in den Anfängen der Automobilgeschichte die Nase vorn, bevor es in den 1920er-Jahren in den Museen verschwand.

Jetzt erlebt der Stromer seine Wiedergeburt. Das Elektroauto als neue Erlöserfantasie soll den Ausweg weisen aus Ölpreisexplosionen, Umwelt- und Ressourcenkrisen. Doch die Kritik am elektrischen Antrieb ist dieselbe wie vor hundert Jahren. Die Kraft der "gebrechlichen" Batterien ist schwach, die Reichweite der Fahrzeuge gering und das ganze Gefährt sündteuer. Und das wird sich so schnell nicht ändern.

Das Elektroauto kann langfristig nur Erfolg haben, wenn unter der geistigen Motorhaube ernsthaft abgerüstet wird: Es braucht kleine, leichte, weniger übermotorisierte, also intelligente Autos. Ein Zweieinhalb-Tonnen-Dickschiff mit Elektroantrieb - das ist wie Fred Astaire in Gummistiefeln.

Und solange noch 300-PS-Benziner produziert und mit der Erotik des Siegers beworben werden, so lange bleibt das Elektroauto ein grünes Aschenputtel, das allenfalls als Spielerei oder als Drittwagen interessant ist. Die Autoindustrie will immer beides: rasen und Benzin sparen, öko und zugleich sportlich sein, eine Kreuzung aus Boxenluder und Petra Kelly. Das kann nicht hinhauen, das ist so wenig glaubwürdig wie die Behauptung von Cheflobbyist Wissmann, die deutschen Hersteller würden in Sachen Umwelt vorausfahren. Ob der Mann die aktuelle Auto-Umweltliste kennt? Dort dominieren Japaner, Japaner!

Links blinken, rechts reinfahren: Natürlich hat die IAA wieder den grünen Rock angezogen und präsentiert sich als ein einziges CO2-Rückhaltebecken. Doch die grüne Tarnkappe wird auf die Dauer nicht helfen.

Spätestens im nächsten Jahr passiert der Ölpreis wieder die 100-Dollar-Marke, und in der Erdatmosphäre steigt die CO2-Konzentration unerbittlich weiter an. Zugleich drücken China - jetzt der weltgrößte Automarkt - und Indien selbstbewusst in "unsere" Märkte.

Da muss sich die europäische Automobilindustrie schon etwas einfallen lassen. Klimaschutz mit 350 PS und die feuchten Träume vom Elektroauto machen jedenfalls keine automobile Zukunft.

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Manfred Kriener, Jahrgang 1953, ist Umweltjournalist und Autor in Berlin. Themenschwerpunkte: Klima, Umwelt, Landwirtschaft sowie Essen & Trinken. Kriener war elf Jahre lang taz-Ökologieredakteur, danach Gründungschefredakteur des Slow-Food-Magazins und des Umweltmagazins zeozwei.. Zuletzt erschienen: "Leckerland ist abgebrannt - Ernährungslügen und der rasante Wandel der Esskultur". Das Buch schaffte es in die Spiegel-Bestsellerliste und wurde von Umweltministerin Svenja Schulze in der taz vorgestellt. Kriener arbeitet im Journalistenbüro www.textetage.com in Kreuzberg.

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