Polizeiruf 110: Alles Lüge

Autor Stefan Rogall greift in seinem Krimi gesellschaftliche Schräglagen auf. Sei es nun der übertriebene Sicherheitswahn oder die wirkungslose Schusswaffenkontrolle. (So, 20.15 Uhr, ARD)

Max König (Raúl Semmler) ist der unangefochtene Schützenkönig im Ort. Bild: rbb/arnim thomaß

Ein paar Jahre zuvor nahm man die Polen hier noch als Bedrohung wahr, jetzt sieht man sie als Rettung. Zumindest, wenn sie genügend Geld mitbringen – so wie der polnische Investor Novak, der im kleinen brandenburgischen Stolzow eine Großbäckerei plant. Die örtliche Kranfabrik, die vor fünf Jahren Insolvenz anmelden musste, bietet die optimalen Räumlichkeiten dazu.

Muss nur noch der mit den Nachbarn grollende Ex-Fabrikdirektor überredet werden, der über die brachliegenden Anlagen verfügt und sich stur für alle Strukturverbesserungsmaßnahmen gibt. Dass der Alte eines Nachts während eines aus dem Ruder gelaufenen Schützenfestes erschossen wird, erscheint da für die Wirtschaft der Gemeinde also durchaus von Vorteil.

„Alles Lüge“ ist ein weiterer ambitionierter „Polizeiruf 110“ aus den Ruinen des Aufbaus Ost. Autor Stefan Rogall schrieb vor zwei Jahren bereits die brandenburgische Episode „Kleine Frau“, in der er die mannigfaltigen ökonomischen Probleme der Region zu einem grandiosen Gesellschaftspsychogramm verdichtete. Dafür gab es den Grimme-Preis.

Auch in der aktuellen Krimi-Episode greift er die gesellschaftlichen Schräglagen auf, von übertriebenem Sicherheitswahn über wirkungslose Schusswaffenkontrolle bis zu Globalisierungsabsurditäten. So lässt er einen pensionierten Polizisten die Fabrik, aus der eigentlich ja sowieso nichts mehr zu holen ist, mit Videokameras überwachen. Die arbeitslosen Jugendlichen des Ortes schießen derweil mit den Waffen des Schützenvereins die letzten Fensterscheiben der Industrieruine kaputt. Ironie des Schicksals: Der Betrieb, der jetzt mit polnischen Geld wieder aufgebaut werden soll, musste einst schließen, weil die Konkurrenz aus dem Osten billiger produziert hat.

Eine ziemlich üppige Materialensammlung über die sozio-ökonomischen Verwerfungen in den Neuen Bundesländern ist dieser „Polizeiruf“ geworden – das menschliche Drama, das sich daraus ergibt, bleibt aber umso dünner. Irgendwie nimmt man hier niemanden so recht sein Kampf um ein bisschen Wohlstand ab, weder dem ungeliebten Fabrikantensohn (Tobias Schenke), noch dem beständig Kurze stemmenden Bürgermeister (André Hennicke) und auch nicht dessen Frau (Julia Jäger), die mit Kippe im Mund die örtliche Schankwirtschaft führt.

Zwar lässt Regisseur Ed Herzog („Schwesterherz“) ständig die Kamera nervös hin- und herreißen, die Verquickungen zwischen wirtschaftlicher Tristesse und zwischenmenschlicher Verelendung fängt er trotzdem nicht sinnfällig ein.

Da wirkt es wie ein plumper Fingerzeig auf die allgemeine Bindungsunfähigkeit, dass Ermittlerin Herz (Imogen Kogge) dann auch noch von ihrem Mann verlassen wird. Wenig tröstlich, dass sie in dieser extrem schnapsseligen Folge mit zwei Fernfahrern in einer Autobahnraststätte Rio Reisers „Junimond“ singt.

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