Lafontaine und Maas im Saarland: Rocker gegen Kammermusiker

Heiko Maas und Oskar Lafontaine wollen das Saarland regieren. Doch noch kommt Maas leicht steif rüber - und Lafontaine kopiert sich selbst.

Bild aus Tagen der parteipolitischen Einigkeit: Lafontaine und Maas 2003. Bild: dpa

Das Sommerfest der Linksfraktion findet in einem Festzelt in Burbach statt, einem Stadtteil von Saarbrücken. Der Ort ist bewusst gewählt. Burbach ist eine Hochburg der Linkspartei. Bei der Bundestagswahl 2005 bekam sie hier 38 Prozent. Etwa 500 Genossen sind da, das Bier zu 1,50 Euro, der Kuchen selbst gebacken. Das Publikum könnte auch aus einem SPD-Ortsverein stammen. Man trägt Jeans, billige Hemden, nichts Auffälliges.

Es ist ein heißer Samstagnachmittag. Und als er kommt, bricht tosender Applaus los. Oskar Lafontaines Gesicht glänzt vor Glück. Er redet eine gute Stunde. Spottet, schreit, attackiert. Er polemisiert gegen Bild, die in Saarbrücken täglich in schrillen Tönen vor der rot-roten Gefahr warnt. Er fordert, dass alle Parteispenden von Banken und Unternehmen verboten werden. Er macht sich über die Rentenexperten lustig, die die Talkshows bevölkern, und ruft: "Ehrlich wäre, wenn alle diese Raffelhüschens und Rürups wie Michael Schumacher Werbung auf ihren Anzügen hätten, von den Banken und Versicherungen, die sie bezahlen." Es ist eine krachende, effektvolle Rede. Ihr Geheimnis ist die Dosierung, der Wechsel von Tempi und Lautstärke. Mal wird er leiser und langsamer - argumentativer. Aber nur um am Ende die Pointe, die scharfe Wendung, die Zuspitzung richtig zur Geltung kommen zu lassen. "Oskar, Oskar", rufen ein paar enthusiastische Genossen rhythmisch. Das Zelt tobt und johlt. Wenn der beste Performer diese Wahl gewinnen würde, wäre der Linkspartei die absolute Mehrheit sicher.

Laut einer aktuellen Infratest-dimap-Umfrage ist im Saarland alles offen. Die CDU käme auf 38, die FDP auf 9 Prozent. Die SPD würde auf 26 Prozent kommen, die Linkspartei auf 15 Prozent, die Grünen bekämen 6 Prozent. Somit hätten Schwarz-Gelb und Rot-Rot-Grün jeweils 47 Prozent. Die Grünen halten es sich jedoch offen, ob sie Rot-Rot oder Schwarz-Gelb unterstützen werden.

Die Umfrage, die die ARD in Auftrag gab, hat nur begrenzte Aussagekraft. Denn die Ferien enden im Saarland dieses Wochenende, viele haben bis jetzt den Wahlkampf noch nicht wahrgenommen. Fällt die Wahlbeteiligung so niedrig aus wie 2004 - damals wählten nur 55 Prozent -, nutzt dies eher der CDU.

Landespolitik kommt auch vor. Ein paar knappe Sätze, über Industriepolitik und Bildung. "Der Geldbeutel der Eltern entscheidet über die Chance der Kinder", weil viele G 8, das verkürzte Abitur, das die CDU eingeführt hat, nur mit Nachhilfeunterricht schaffen.

Danach macht er Polaroids mit Bürgern, als Andenken. Den Polaroid-Wahlkampf hat Lafontaine schon 1985 gemacht, als er Ministerpräsident wurde. Jetzt zieht er manchmal, wenn er Lust hat und das Wetter gut ist, durch Saarbrücken, gefolgt von einem Tross von Journalisten und Fotografen, und macht diese Polaroids mit Passanten. Er grüßt und scherzt, man kennt ihn. So gibt er abwechselnd den netten Landesvater und den Volkstribun. Die Linkspartei kann mit knapp 20 Prozent rechnen. Die Hälfte davon, sagen auch Linksparteipolitiker, sind Lafontaine-Stimmen.

In Saarbrücken ist er für viele noch immer "der Oskar", der 13 Jahre regiert hat. Gut regiert. Er hat Schulden abgebaut und neue Industrie angesiedelt. Und vor allem war er "der Oskar", weil er es in der Republik zu etwas gebracht hat. Das schätzen Saarländer, weil sie noch immer darunter leiden, nicht so ganz dazuzugehören.

Die SPD-Genossen sitzen im nüchternen katholischen Gemeindezentrum in Heusweiler. Hundert sind gekommen, um einen "Abend mit Heiko Maas" zu verbringen. Es ist die 51. Veranstaltung dieser Art. Maas macht sie seit Februar. Das ist anstrengend, aber Maas lässt sich nichts anmerken. Er ist überhaupt jemand, der sich nicht viel anmerken lässt. Vor ein paar Tagen hat Bild ein Duell zwischen ihm und Peter Müller organisiert. Die Junge Union trat in Mannschaftsstärke an und buhte ihn regelrecht nieder. "Blöd", sagt Maas später, war das. Er sagt es nicht wütend, weil es ein persönlicher Angriff auf ihn war, sondern sachlich, so als wäre es ein Indiz für die bekanntlich unausrottbare menschliche Dummheit.

Dieser Abend ist ein Heimspiel. Maas redet konzentriert, nüchtern, einleuchtend über Bildungspolitik, über Klassengrößen, Geburtenrückgang und Ganztagsschulen. Bildung ist das zentrale Thema der Wahl. Denn Bildung ist Ländersache. Bei allen anderen Themen kann man höchstens mitreden. Das Saarland hat so viel Einwohner wie Köln, ist so groß wie ein Landkreis in Brandenburg und hat die höchste Pro-Kopf-Verschuldung aller Bundesländer. "Wir müssen", sagt Maas, "wenn wir regieren, jeden Euro zweimal umdrehen." Das Publikum folgt ihm sachlich und konzentriert, ist aber nicht gefesselt. In eineinhalb Stunden macht Maas exakt einen Witz.

Maas antwortet auch auf kurze Fragen lang. Einen Metallarbeiter empört die Diskussion über die Rente mit 69. Maas erklärt die Altersteilzeit, lobt die Idee der IG Metall, die Kurzarbeit für Ältere auszuweiten, und gibt zu bedenken, dass schon jetzt 80 Milliarden Euro aus dem Haushalt in die Rentenkasse fließen. Er erklärt das Schweizer Rentensystem und erwähnt, dass man eine Lösung für gebrochene Erwerbsbiografien braucht. Es sind kluge, ausgewogene, perfekte Antworten. Vielleicht zu perfekt. Der lokale SPD-Bürgermeister lobt, dass der "Heiko nicht nur kommt, wenn Wahlkampf ist". Ein grauhaariger Genosse sagt nach dem Auftritt: "Der Heiko ist schon gut, aber der Oskar fehlt trotzdem."

Heiko Maas macht viel und intensiven Wahlkampf, Lafontaine fast arrogant wenig. Maas Auftritte sind Kammermusik, Lafontaines Rock n Roll.

Auf dem Schreibtisch von Reinhard Klimmt steht ein Foto aus den 70er-Jahren. Es zeigt ihn, er steht schräg zum Fotografen. Frontal schaut ein kleinerer Mann ins Bild, mit wachen Augen und selbstbewusstem Gesichtsausdruck. Es ist Lafontaine, der damals der jüngste Oberbürgermeister Deutschlands war, später der jüngste Ministerpräsident. Klimmt und Lafontaine kennen sich seit 1966. Sie waren Freunde und erfolgreich, eine politische Symbiose. Lafontaine war der Extrovertierte, Glanzvolle, Klimmt der Mann im Hintergrund. "Wir waren", sagt Klimmt, "wie ein zweiwandiges Gefäß." Klimmt sammelt Bücher und afrikanische Masken. Er ist ein freundlicher, belesener Mann, politisch spielt er keine Rolle mehr. Kaum noch eine. Denn er hat einen Wahlaufruf für Heiko Maas initiiert, den fast alle Ex-SPD-Minister im Saarland unterschrieben haben. Der Aufruf erwähnt den Namen Lafontaine nicht, aber es ist klar, gegen wen er sich richtet. Gegen ihn und seine Art zu sagen "Wir haben früher", um so die SPD-Erfolge für sich zu vereinnahmen. Für Lafontaines Linkspartei hat Klimmt nichts übrig. Außerdem sagt er, halb verwundert, halb empört, "war ich doch immer der Linke, nicht Oskar".

Lafontaine hat Klimmts politische Karriere bestimmt, seinen Auf- und seinen Abstieg. 1998, als Lafontaine als Minister nach Bonn ging, wurde Klimmt - wer sonst - Ministerpräsident in Saarbrücken. Dann trat Lafontaine abrupt zurück, Klimmt verlor kurz danach knapp die Wahl gegen Peter Müller. "Wenn Oskar das anders gemacht hätte, zu einem anderen Zeitpunkt, dann wäre ich heute noch Ministerpräsident", sagt er. Bei der Wahl 2004 wiederholte sich dieses Muster. Maas setzte damals auf Lafontaine. Doch als sich abzeichnete, dass die SPD keine Chance gegen Müller haben würde, erklärte Lafontaine kurz vor der Wahl, dass er eine neue Partei gründen werde. Maas bekam 30 Prozent, ein Desaster. Nicht nur wegen Lafontaines Illoyalität, aber auch. "Diese Rücksichtslosigkeit war typisch für ihn, die hatte er schon immer", sagen Sozialdemokraten. Die negative Fixierung der SPD auf Lafontaine wirkt oft übertrieben und gekünstelt. Im Saarland nicht. Hier gibt es dafür handfeste Gründe.

Kann Rot-Rot klappen? Trotz der Verwundungen und Lafontaines Hybris? Im Zelt in Burbach ruft er selbstsicher: "Ich will Ministerpräsident werden." Obwohl SPD und Grüne immer wieder beteuern, dass sie ihn nicht wählen werden. Doch an Lafontaine wird Rot-Rot nicht scheitern. Erstens wird, wie auch führende Linksparteipolitiker zugeben, die SPD wohl stärker. Außerdem zweifeln viele, ob er das überhaupt noch mal will, kratertiefe Haushaltslöcher stopfen, in Berlin um Hilfe antichambrieren und sich stundenlang mit dem Gewerbegebiet Saarbrücken Süd befassen. Landespolitik ist, im notorisch klammen Saarland, mehr als anderswo ein graues Geschäft. Nichts für Altstars. Außerdem braucht die Saar-SPD keine Panik vor der Linkspartei zu haben. Sie hat 22.000 Mitglieder, die Linkspartei 3.500. SPD-Spitzenpolitiker sind nicht zu Lafontaine gewechselt, nur solche, heißt es in SPD Kreisen höhnisch, die "bei uns nichts geworden sind". Auch bei Betriebsräten und Gewerkschaften ist die SPD die dominierende Kraft geblieben. Und landespolitisch wollen SPD und Linkspartei so ziemlich das Gleiche. Mehr Ganztagsschulen, keine Studiengebühren und neue Energietechnologien ansiedeln.

Vater-Sohn-Klischee

Manche haben die Beziehung von Maas und Lafontaine als Vater-Sohn-Konflikt gedeutet. Weil Lafontaine den aufmüpfigen Juso Maas protegiert und 1996 zum Staatssekretär gemacht hat. Aber Vater-Sohn ist ein Psycho-Klischee, das alles zu erklären scheint. Doch so intensiv war ihre Beziehung nicht. Maas winkt bei dem Stichwort nur ab. Er hat es schon zu oft gehört.

Tatsache ist, dass Maas nur eine Chance hat zu regieren, wenn SPD und Linkspartei zusammen deutlich mehr als 40 Prozent bekommen und die Grünen sich für Rot-Rot-Grün entscheiden. Auch die Bundes-SPD hat einen Erfolg bitter nötig. In Thüringen und Sachsen sieht es finster aus, in Saarbrücken könnte es funktionieren. Das ist die wohl letzte ironische Wendung der Geschichte von Lafontaine und der Saar-SPD. Sie sind aufeinander angewiesen. Schon wieder, noch immer.

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