Merkels Wahlkampf: Frau Adenauer-Kohl

Die Kanzlerin verdankt ihren Aufstieg dem Bruch mit Kohl und der Negation eherner CDU-Prinzipien. Nun führt sie eine Kampagne, die sie in die Tradition der Parteiheroen stellt.

Merkel stellt sich in die Tradition der Parteiikonen – sieht auch im Profil gut aus. Bild: dpa

BERLIN/WEIMAR taz | Nach dem Urlaub fuhr die Kanzlerin als Erstes nach Oggersheim. Die Öffentlichkeit erfuhr von dem Termin erst im Nachhinein. Es gab keine Pressestatements, keine Originaltöne. Nur offizielle Fotos. Auf dem Bild, das viele Zeitungen tags darauf druckten, saßen Angela Merkel und Helmut Kohl auf der Terrasse des Reihenhauses.

Rauhputz, Bodenplatten aus Waschbeton. An der Wand eine Stange, an der sich der gebrechliche Altkanzler festhalten kann. Kohl selbst saß im Rollstuhl, Merkel auf einem Gartensitz mit hoher Lehne und gestreiftem Bezug. Das war am Montag voriger Woche.

"Kohl und Merkel sprachen über zwei Stunden in privater, harmonischer Atmosphäre vor allem auch darüber, wie sie persönlich in ihrem ganz unterschiedlichen Lebensumfeld die entscheidenden Wochen und Monate nach dem Mauerfall erlebt haben", teilte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm nach dem Treffen mit. Dass es von dem Ereignis nur das Bild, aber keine Worte gab, unterstrich den sakralen Charakter des beinahe monarchischen Aktes.

Wie in der mittelalterlichen Lehre von der Translatio Imperii, der Übertragung des Universalreichs von den Römern auf die Deutschen, ging hier die Aura historischer Größe von Kohl auf Merkel über, vom Staatsmann der Einheit auf die Kanzlerin der Krise.

Was sich in Merkels Reden seit dem Frühjahr schon andeutete, wird in der Schlussphase des Wahlkampfs zur Gewissheit. Die Kanzlerin plant eine Kampagne, in der sie sich in die Tradition der beiden christdemokratischen Großheroen Helmut Kohl und Konrad Adenauer stellt. Dem Besuch in Oggersheim folgt am 15. September, sechzig Jahre nach Adenauers erster Kanzlerwahl, eine Visite in dessen Rhöndorfer Haus. Von dort fährt Merkel mit dem Zug nach Berlin.

Das ist ein Anklang an Adenauers damals höchst moderne Wahlkämpfe per Bahn, die er allerdings erst von 1953 an praktizierte. Nachkommen Adenauers werden Merkel begleiten, was die Aneignung der Tradition physisch beglaubigt wie der vorausgegangene Besuch bei Kohl.

In ihren Wahlkampfreden sagt Merkel schon seit Monaten einen Satz, der stets auffällt, weil er verschwurbelt klingt und so banal erscheint. "Ein Drittel der Geschichte der Bundesrepublik gehen wir nun schon gemeinsam", lautet er, mit geringen Variationen. Es ist so etwas wie die verspätete Legitimation ihrer Kanzlerschaft. Die erste Ostdeutsche im höchsten Regierungsamt, die 2005 nur mit knapper Not und beinahe zufällig ins Kanzleramt gelangte, sucht für ihre Amtszeit einen historischen Sinn.

Nur weil sich Merkel ihrer Position jetzt einigermaßen sicher sein kann, präsentiert sie sich ganz bewusst als Frau und als Ostdeutsche, anders als noch vor vier Jahren. Sie ließ sich am vorigen Sonntag von der Frauen-Union feiern und verlangte mehr weibliche Führungskräfte in der Wirtschaft, sie mokierte sich am Dienstag vor ostdeutschen Christdemokraten in Weimar über die fehlende Krisenerfahrung erfolgsverwöhnter Westdeutscher. "Mal gucken, wie die in Baden-Württemberg reagieren auf so eine Krise", sagte sie während ihres Auftritts.

Nur weil sie nicht mehr glaubt, ihre Identität verstecken zu müssen, kann Merkel andererseits so souverän auftreten, wie sie es in diesen Tagen tut. Das Gegenbild dazu ließ sich am Dienstag in Weimar ebenfalls besichtigen: die Ministerpräsidenten Dieter Althaus und Stanislaw Tillich, die ihre politischen Aktivitäten in der untergegangenen DDR zwei Jahrzehnte lang beschwiegen, wodurch sich das Verdruckste ihres Auftritts weitgehend erklärt.

Der Kanzlerin kann das nur recht sein, sie tritt aus einer solchen Kulisse umso leuchtender hervor. "Hat alles geklappt?", fragte Althaus in Weimar zur Begrüßung etwas unbeholfen. "Bis jetzt ja", gab Merkel kühl zurück.

Von der Staatsgründung 1949 über die Vereinigung 1989 zum Krisenjahr 2009: Das ist der Bogen, den Merkel im Wahljahr zu schlagen versucht. Schon jetzt hat sie die CDU-Kanzler Ludwig Erhard und Kurt-Georg Kiesinger an Regierungsjahren überrundet. Ihre Wiederwahl ist zwar nicht so sicher wie allgemein angenommen, weil sich FDP-Chef Guido Westerwelle immer noch die Möglichkeit einer Ampelkoalition offen hält.

Wenn sie aber eine zweite Amtszeit absolviert, hätte sie auch die Sozialdemokraten Willy Brandt und Gerhard Schröder überrundet, Helmut Schmidt zumindest eingeholt. Als Maßstab bleiben dann tatsächlich nur noch die 14 Amtsjahre Adenauers und die 16 Amtsjahre Kohls.

Merkel verdankt ihren Aufstieg dem Bruch mit Kohl, sie erreichte ihre Popularität durch die Negation eherner christdemokratischer Prinzipien. Das macht die späte Aneignung der christdemokratischen Tradition so erstaunlich. Ihre Befähigung für politische Spitzenämter stellte die damalige Generalsekretärin unter Beweis, als sie sich auf dem Höhepunkt der Spendenaffäre von Kohl kühl verabschiedete. Ganz so einzigartig war der Schritt allerdings nicht.

Auch Kohl hatte sich von Adenauer emanzipiert, indem er mit dessen Spendensystem ins Gericht ging, wenn auch nur hinter den verschlossenen Türen der Parteigremien. Es hinderte ihn nicht daran, später selbst ins Zentrum der Partei aufzurücken. Auch für Merkel endet mit der historischen Versöhnung vom 11. August 2009 die Phase, in der sie sich in Opposition zur alten westdeutschen CDU befand.

Anders als Kohl polarisiert sie allerdings nicht, was ihr zwar schlechtere Wahlergebnisse beschert, andererseits aber reichere Bündnisoptionen. Die Kanzlerin fahre im Schlafwagen zur Wiederwahl, heißt es jetzt angesichts ihrer geringen Lust zur Konfrontation in Sachfragen. Bei einer Fernsehdiskussion, die vorigen Donnerstag in einem Berliner Bankgebäude aufgezeichnet wurde, erwiderte Merkel den Vorwurf mit dem Hinweis, man solle sie doch einfach fragen. Die beiden Journalisten erkundigten sich lieber nach Wahltaktik und Koalitionsarithmetik. Fast schien die Kanzlerin erstaunt, wie leicht die Medien ihre Inszenierung durchgehen lassen.

Die Wiedervereinigung mit christdemokratischen Traditionen ist für Merkel allerdings nicht ohne Risiko. Nicht nur weil Kohl die geforderte Aufklärung in der Spendenaffäre bis heute schuldig bleibt. Sondern auch weil der Pfälzer den Wandel vom Parteireformer zum notorischen Aussitzer verkörpert. Die Grenzen menschlicher Veränderungsbereitschaft kannte Kohl besser als jeder andere deutsche Politiker der vergangenen Jahrzehnte, auch das erklärt seine lange Amtszeit.

Das Verständnis für diese Facette im Denken des Exkanzlers wird bei Merkel nach dem Wahlergebnis von 2005 und den Jahren der großen Koalition gewachsen sein. Die Kohlsche Machttechnik hat kaum jemand so präzise analysiert wie Merkel. Auch zu den Zeiten, als an ein gemeinsames Foto in Oggersheim nicht zu denken war.

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